Republik Moldau: Europas ärmstes Land hofft und bangt vor der Präsidentschaftswahl
Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wird in Moldau der Präsident wieder direkt gewählt. Im ärmsten Land Europas fällt am Sonntag auch eine Richtungsentscheidung: EU oder Russland.
Zwei große Fragen stehen im Mittelpunkt, wenn in der Republik Moldau am Sonntag zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder der Präsident direkt gewählt wird: Wird sich das Land, das eines der ärmsten Europas ist, der EU annähern oder Russland? Und wird die grassierende Korruption künftig besser bekämpft werden oder nicht? Seit das Verfassungsgericht im März die Rückkehr zur Direktwahl erzwungen hat, ruhen große Hoffnungen auf der Wahl - obwohl der Präsident vorwiegend repräsentative Aufgaben hat. “Aber sie wird zeigen, wohin das Land geht”, sagt Norbert Beckmann-Dierkes, der das lokale Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung leitet.
Fast genau die Hälfte der Bevölkerung ist für eine Annäherung an Russland, die andere will sich enger an die EU binden. Das russlandfreundliche Lager wird vor allem vom Sozialisten Igor Dodon vertreten. Bei der jüngsten Parlamentswahl posierte er auf einem Plakat mit Wladimir Putin. Er liegt in Umfragen vorne. “Es ist unwahrscheinlich, aber er könnte die absolute Mehrheit bekommen”, sagt Mihai Popşoi, Politikwissenschaftler an der Universität in Mailand.
Das pro-europäische Lager ist dagegen gespalten. Kommt es wie erwartet zu einer Stichwahl, werden die verschiedenen Parteien aber wohl einen gemeinsamen Kandidaten unterstützen, sagt Beckmann-Dierkes. Die 44-jährige Maia Sandu hat dabei die größten Chancen. Ob sie oder Dodon eine mögliche Stichwahl gewinnen würde, ist Umfragen zufolge offen.
Die ehemalige Erziehungsministerin habe einen tadellosen Ruf, sagt Beckmann-Dierkes: gute Arbeit im Amt, keine Korruptionsvorwürfe. Sandu könnte, so die Hoffnung, eine neue politische Kultur befördern und Vetternwirtschaft und Korruption glaubhaft anprangern. Die durchzieht Alltag und Politik in Moldau. Die meisten einflussreichen Politiker sind seit Jahren an der Macht. Viele sind erfolgreiche Unternehmer. Etlichen wurden Mauscheleien nachgewiesen, noch viel mehr werden sie nachgesagt.
Vor einem Jahr gingen in der Hauptstadt Chişinău Zehntausende auf die Straße. Und das in einem Land mit nur ungefähr drei Millionen Einwohnern. Sie protestierten gegen die Eliten, nachdem unter Aufsicht der Zentralbank eine Milliarde Dollar von privaten Banken auf Auslandskonten versickert war - der Staat bürgte für Notkredite. Die Summe entspricht etwa 12 Prozent des Moldauischen Bruttoinlandsprodukts.
Der Betrug geschah, während eine pro-europäische Koalition regierte. Obwohl der ehemalige Premierminister Vlad Filat mittlerweile in erster Instanz zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, ist der Unmut gegen die Eliten weiter riesig. Selbst viele, die die EU schätzen, verachten die Vertreter des pro-europäischen Lagers, weil sie die Wirtschaft nicht vorangebracht haben und ihnen als korrupt gelten.
Das Land kommt nicht zur Ruhe
Für Maia Sandu ist das ein Dilemma. Einerseits braucht sie die Wähler der anderen Mitte-Rechts-Parteien. Andererseits muss sie den Eindruck zu großer Nähe fürchten, sagt Mihai Popşoi. Das zeigte sich, als der ehemalige kommissarische Staatspräsident Marian Lupu seine Kandidatur zurückzog und sich offen für sie aussprach: Er gilt als Vertrauter seines Parteifreunds Vladimir Plahotniuc, den die Anti-Korruptions-Demonstranten beschuldigen, ein Korruptions-Netzwerk zu pflegen. Konkurrent Igor Dodon hat Sandu bereits aufgefordert, jede Zusammenarbeit mit dem Oligarchen auszuschließen. Sandu wies schließlich die Unterstützung Plahotniucs zurück – warb aber zugleich um die Wähler seiner Partei.
Die ehemalige Sowjetrepublik Moldau kommt politisch seit Jahren nicht zur Ruhe. Seit Februar 2015 hat sie vier Premierminister verschlissen. Alle gehörten den EU-nahen Parteien an. Sie regieren in wechselnden Koalitionen seit 2009, als teils gewaltsame Proteste die kommunistische Partei aus dem Amt jagten. Sie hatte zuvor mehrere Wahlen gewonnen.
Außerdem schwelt immer noch der Konflikt mit Transnistrien: Nach einem kurzen Bürgerkrieg im Jahr 1992 erklärte sich der schmale Streifen im Osten Moldaus einseitig für unabhängig. Er hat Hammer und Sichel in der Flagge, wird von Russland unterstützt, aber von keinem Staat der Welt als Staat anerkannt. Trotz internationaler Vermittlungsversuche nähern sich Moldau und Transnistrien nicht an.
Moldau ist eines der ärmsten europäischen Länder. Das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 240 Euro im Monat. Eine echte Industrie gibt es nicht. Wichtigste Exportgüter sind Früchte und Nüsse. Viele Moldauer leben als Gastarbeiter entweder in Russland oder der EU.
Bis 1996 wurde der Präsident direkt vom Volk gewählt. Im Jahr 2000 änderte das Parlament das Wahlrecht. Fortan war es selbst für die Wahl verantwortlich. Im März erklärte das Verfassungsgericht diese Reform für verfassungswidrig und forderte eine Rückkehr zum alten System.
Jonas Schaible
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