Rechtsstaats-Streit mit Polen: Europäischer Gerichtshof: Warschau brach mit Justizreform EU-Recht
Die Herabsetzung des Pensionsalters für polnische Richter auf 65 Jahre und für Richterinnen auf 60 Jahre verstößt gegen gegen EU-Recht. Das entschied der EuGH.
ch
Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Polen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Dienstag die Herabsetzung des Rentenalters für polnische Richter für unzulässig erklärt. Die Ruhestandsregelung von 2017 diente der nationalkonservativen polnischen Regierung dazu, missliebige Richter aufs Abstellgleis zu schicken. Die EU-Kommission hatte gegen die Regelung in einem Vertragsverletzungsverfahren geklagt.
Gesetz stammt aus dem Jahr 2017
Im Juli 2017 hatte Polen ein Gesetz erlassen, das neue Ruhestandsregelungen für Richter enthielt. Demnach wurde das Ruhestandsalter für Richter an den ordentlichen Gerichten, Staatsanwälte und Richter am Obersten Gericht auf 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer abgesenkt. Zuvor hatte das Rentenalter für beide Geschlechter bei 67 Jahren gelegen. Nach dem Urteil des EuGH verstößt die Ruhestandsregelung gegen das Recht der Europäischen Union. Demnach stellt das von der polnischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit" (PiS) erlassene Gesetz eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.
Für unzulässig erklärte der Europäische Gerichtshof zudem eine Regelung, der zufolge der Justizminister in Warschau über die Verlängerung des Dienstalters einzelner Richterinnen und Richter entscheiden kann. Damit könnte beabsichtigt sein, „es dem Justizminister zu ermöglichen, bestimmte Gruppen von bei den polnischen ordentlichen Gerichten tätigen Richtern, wenn sie das Regelruhestandsalter erreicht haben, willkürlich aus dem Dienst zu entfernen und gleichzeitig einen anderen Teil dieser Richter im Amt zu belassen“, teilte das Gericht mit. (Az.: C-192/18)
Die polnische Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass die Bedenken der EU-Kommission durch eine Überarbeitung des Gesetzes aus dem vergangenen Jahr ausgeräumt seien. Seither gilt nach der Lesart der Regierung in Warschau für Richterinnen und Richter eine Angleichung beim Pensionsalter. Eine Sprecherin der EU-Kommission erklärte jedoch am Dienstag, dass die Angleichung eine „willkommene Änderung" darstelle. Jedoch müsse die polnische Regierung noch den Rechtsverstößen Rechnung tragen, die vor der Gesetzesnovelle vom vergangenen Jahr lägen.
Im Fall der Präsidentin des Obersten Gerichts in Warschau, Malgorzata Gersdorf, führte das Gesetz der nationalkonservativen Regierung zu Protesten in der Bevölkerung. Im vergangenen Jahr hatte es landesweite Demonstrationen gegen die Zwangsverrentung von Gersdorf gegeben. Im Juli 2018 weigerte sich die Richterin, ihr Amt aufzugeben. Im vergangenen Juni hat das EuGH bereits die Herabsetzung des Pensionsalters für die Richter am Obersten Gericht in Warschau für rechtswidrig erklärt.
FDP-Fraktionsvize Lambsdorff: Kein Unrechtsbewusstsein in Warschau
FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff sagte dem Tagesspiegel, dass das Urteil des EuGH „ein Erfolg für die Demokraten" darstelle. Es sei allerdings „stark zu bezweifeln", ob es auch ein Erfolg für die polnische Demokratie sei. „Die Reaktion der Regierung in Warschau zeigt nämlich, dass es dort keinerlei Unrechtsbewusstsein gibt", sagte Lambsdorff. Die von Jaroslaw Kaczynski geführte PiS-Partei habe „bei der jüngsten Parlamentswahl dank populistischer Wahlgeschenke und tendenziöser Berichterstattung eine absolute Mehrheit errungen". Die PiS werde daher aller Voraussicht nach ihren Kurs unbeeindruckt fortsetzen. „Deshalb müssen Kommission und Europaparlament den Druck auch weiter aufrecht erhalten, bis die Rechtsstaatlichkeit wieder hergestellt ist."
Grünen-Abgeordneter Lagodinsky: Es gelten klare rechtliche Grundlagen
Der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky erklärte, das Urteil des EuGH beweise, dass die Kritik an den polnischen Rechtsstaats-Reformen „auf klaren rechtlichen Grundlagen" fuße. „Das häufige Argument aus Warschau oder Budapest, Rechtsstaatlichkeit sei ein vages Konzept, ist endgültig widerlegt", sagte Lagodinsky. „Unabhängigkeit der Richter ist nicht verhandelbar." Bei der Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und der Regierung in Warschau gehe es nicht „um politische Befindlichkeiten, sondern um klare rechtsstaatliche Vorgaben", fügte Lagodinsky hinzu.
Verfahren zum Entzug der Stimmrechte
Wegen der Rechtsstaats-Verstöße hatte die EU-Kommission im Dezember 2017 gegen Polen ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages eingeleitet. Theoretisch kann das Verfahren zum Entzug des Stimmrechts in der EU führen. Dies ist allerdings eher unwahrscheinlich, da dazu die Einstimmigkeit unter den übrigen EU-Mitgliedern nötig ist.