Ex-Verfassungsrichter warnen: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte könnte ein NPD-Verbot kassieren
Zwei frühere Verfassungsrichter warnen vor den Unwägbarkeiten eines möglichen NPD-Verbots. Es sei "nicht unwahrscheinlich", dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein solches Urteil aufheben würde.
Zwei ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht warnen, ein Verbotsverfahren gegen die NPD könne beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) scheitern. Angesichts der weithin schwachen Wahlresultate der NPD sei es „nicht unwahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Verbot aufheben würde“, sagte der frühere Vizepräsident des Gerichts, Winfried Hassemer, am Freitag dem Tagesspiegel. Der EGMR nehme eine „Gesamtbetrachtung“ der politischen Lage in einem Land vor. „Da wird vermutlich eine Rolle spielen, wie stark eine Partei ist“. Die NPD hatte im Mai bei den Wahlen in Schleswig-Holstein 0,7 Prozent und in Nordrhein-Westfalen nur 0,5 Prozent erreicht. Hassemer stand 2003 an der Spitze des Zweiten Senats des Verfassungsgerichts, der das Verbotsverfahren gegen die NPD einstellte.
Ähnlich wie Hassemer äußerte sich jetzt der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm. In einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schrieb Grimm, es sei zu befürchten, dass ein Verbot in Karlsruhe vom EGMR beanstandet würde. „Das Straßburger Gericht fragt nicht nur nach der Absicht, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, sondern auch nach der Erfolgswahrscheinlichkeit. Wo soll die bei der NPD herkommen?“ zitierte die „Passauer Neue Presse“ aus dem Brief. Grimm, von 1987 bis 1999 am Bundesverfassungsgericht, gab Lammert Rückendeckung: „Ich kann Sie in Ihrem Zögern, einem NPD-Verbotsverfahren näher zu treten, nur nachdrücklich bestärken.“ Lammert lehnt ein Verbotsverfahren als nicht durchdachten Reflex auf die Verbrechen der Terrorgruppe NSU ab. Der Bundesrat hatte vergangene Woche beschlossen, einen Antrag auf ein Verbot der NPD zu stellen.
Nach Ansicht Hassemers ist zudem das Verbot des rechtsextremen Vereins „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene“ (HNG) nicht mit dem Verbot einer Partei wie der NPD gleichzusetzen. Auch wenn es ähnliche Kriterien bei den Inhalten gebe, also eine vergleichbare antidemokratische und rassistische Grundhaltung, müsse ein Parteiverbot viel vorsichtiger angegangen werden. „Das Verbot einer Partei ist ein Eingriff in die politische Lage in der Bundesrepublik“, sagte Hassemer.
Der Ex-Richter bezog sich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Mittwoch gegen die HNG. Die Richter in Leipzig hatten das Verbot des Vereins, das Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im September 2011 verfügt hatte, bestätigt. Das Gericht hielt dem Verein ähnliche Verfehlungen vor, wie sie in der Öffentlichkeit der NPD angelastet werden: „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“, die demokratische Staatsform werde verächtlich gemacht und eine mit dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes unvereinbare Rassenlehre propagiert.
Dennoch lasse sich aus dem HNG-Urteil keine Vorgabe für ein Verbotsverfahren gegen die NPD ableiten, betonte Hassemer. Wenn man eine Partei verbiete, greife man in die Parteistruktur der Bundesrepublik ein. Das Verbot der HNG ist aus Sicht des Ex-Richters ein punktueller Eingriff in die „innere Ordnung“, damit ist in diesem Fall vor allem die innere Sicherheit gemeint.
NPD will sich Verfassungstreue bescheinigen lassen
Unterdessen hat das Bundesverfassungsgericht im Fall des NPD-Antrags, ihr die Verfassungstreue zu bescheinigen, die nächste Phase eingeleitet. Nachdem die Richter der Bundesregierung, dem Bundesrat, dem Bundestag und jedem Bundesland Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben hatten, kann sich zu den eingegangenen Schreiben nun die rechtsextreme Partei ihrerseits äußern. Der Rücklauf aus den Verfassungsorganen war allerdings begrenzt.
Nach Informationen des Tagesspiegels haben lediglich die Bundesregierung, der Bundesrat und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern Stellungnahmen geschickt. Alle drei wiesen den Antrag, den die NPD mit einigem Getöse im November in Karlsruhe gestellt hatte, als rechtlich unzulässig zurück. Die Partei hatte ihren Schriftsatz als „Antrag im Parteiverbotsverfahren“ tituliert – ein Verfahren hat aber noch gar nicht begonnen.
Während der Bundesrat und Mecklenburg-Vorpommern nur in wenigen Zeilen ihre Ablehnung des Antrags erklärten, verfasste die Bundesregierung, wie berichtet, einen 14-seitigen Schriftsatz. Da heißt es unter anderem, im konkreten Fall liege kein „Rechtsschutzbedürfnis“ der NPD vor. Außerdem sei der Antrag „mangels Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht statthaft“.
Der Bundestag verzichtete auf eine eigene Stellungnahme. Der Rechtsausschuss habe eine Äußerung des Parlaments für unnötig gehalten, da bereits in der Stellungnahme der Regierung die Unzulässigkeit des NPD-Antrags begründet werde, sagte am Freitag der CDU-Abgeordnete Helmut Brandt, der dem Ausschuss angehört.
Die NPD will die Gelegenheit, sich erneut beim Bundesverfassungsgericht äußern zu können, nutzen. „Ich gehe davon aus, dass wir uns selbstverständlich positionieren“, sagte NPD-Sprecher Frank Franz.