Sicherheit in Europa: Europäische Terrorabwehr auf dem Prüfstand
Nach den Anschlägen in Barcelona und Cambrils fordern Politiker eine stärkere Zusammenarbeit der EU-Sicherheitsbehörden. Was gilt es zu verbessern?
Es ist eine Forderung, die mittlerweile auf traurige Weise vertraut klingt. Stets werden nach Anschlägen die Rufe laut nach einem besseren Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden der EU-Länder. „Vorhandene Informationen, die helfen, konkrete Anschläge zu verhindern, müssen alle Länder untereinander austauschen“, erklärte Justizminister Heiko Maas (SPD) nach den Anschlägen in Brüssel im März 2016. Nach den jüngsten Attentaten in Spanien machte nun der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki Schlagzeilen mit seiner Forderung nach einem europäischen Terrorabwehrzentrum: „Denn die Grenzen spielen für Terroristen keine Rolle.“
Wie arbeiteten die EU-Staaten bislang zusammen?
Derzeit gibt es eine Reihe an EU-Datenbanken, in die die europäischen Sicherheitsbehörden polizeiliche Informationen einspeisen. Beispielsweise das Schengener Informationssystem SIS, das Visa-Informationssystem VIS, das Europäische Strafregister ECRIS und das Informationssystem der europäischen Polizeibehörde Europol. Doch noch funktionieren all diese Systeme getrennt voneinander. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte bereits im vergangenen Jahr darauf gedrungen, die getrennten „Datentöpfe“ zu verbinden.
Deshalb wird derzeit in der EU ein sogenanntes „Single Search Interface“ entwickelt, also eine Art Suchmaschine, die mehrere EU-Datenbanken gleichzeitig durchsuchen soll. Das würde es beispielsweise einfacher machen, Personen beim Grenzübertritt zu überprüfen. Der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Andrej Hunko, sieht das skeptisch. „Faktisch entstünde auf diese Weise eine zentrale Polizeidatenbank mit weitgehenden Informationen über die Betroffenen.“ Die EU möchte außerdem ein weiteres System aufbauen, bei dem nicht nur Drittstaatenangehörige, sondern auch EU-Bürger beim Übertritt der Außengrenzen registriert werden. Man will erfassen, wann und in welche Richtung sie welchen Grenzübergang passiert haben.
Bereits umgesetzt ist außerdem ein „European Counter Terrorism Centre (ECTC)“ , das 2016 gegründet wurde. Dabei handelt es sich um ein europäisches Antiterrorzentrum, angesiedelt bei Europol. Es soll die EU-Länder dabei unterstützen, alle Formen von Terror zu bekämpfen.
Wie sinnvoll ist eine europäische Gefährderdatenbank?
Mehrere Politiker von SPD und CDU fordern nach den Anschlägen in Spanien und Finnland eine gemeinsame Gefährderdatenbank für Europa. Schwierig dabei ist, dass der Begriff des Gefährders ein deutscher ist und es rechtlich dafür in anderen Mitgliedsstaaten kaum Entsprechungen gibt. Hunko weist zudem darauf hin, dass es bereits mehrere Datensammlungen gebe. Da sei neben der Europol-Datenbank Hydra zum islamistischen Terrorismus die Datenbank Travellers, in der nicht nur ausländische Kämpfer gespeichert seien, sondern auch deren Kontaktpersonen. So kämen zehntausende Einträge zustande. Zudem seien im Europol-Informationssystem EIS die ausländischen Kämpfer ebenfalls gespeichert. „Mehr als 6000 sind Europol zufolge wirklich gefährlich. Nach welchem Verfahren diese Einschätzung vorgenommen wird, ist aber völlig unklar“, sagt Hunko.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste in Europa?
Zufällig sprachen die Chefs der europäischen Nachrichtendienste im Rahmen der „Counter Terrorism Group (CTG)“ nur Stunden vor dem Terrorangriff 2015 in Paris über eine bessere Vernetzung. An der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegründeten CTG sind die Inlandsnachrichtendienste der 28 EU-Staaten sowie die aus Norwegen und der Schweiz beteiligt. Die CTG ist ein informeller Zusammenschluss, keine Institution der EU. Inzwischen hat die CTG in Amsterdam eine Plattform für den schnellen Informationsaustausch geschaffen. „Das hat sich bewährt“, sagen Sicherheitskreise. Treibende Kräfte sind der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, und der Leiter des niederländischen Nachrichtendienstes AIVD, Rob Bertholee.
Allerdings ist die CTG wegen ihres informellen Status nicht unumstritten. „Es ist ein großes Problem, dass sich diese Geheimdienstzusammenarbeit komplett der parlamentarischen Kontrolle entzieht“, sagt Hunko. „Der Zusammenschluss gehört nicht zur EU. Wir wissen nicht, welche Dienste dort mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten, geschweige denn welche Informationen ausgetauscht werden.“
Die „Counter Terrorism Group“ kooperiert vor allem mit dem „EU Intelligence and Situation Centre (INTCEN)“. Ein Schwerpunkt der nachrichtendienstlichen Institution sind Analysen über die Bedrohung durch Terrorismus. Chef des INTCEN ist ein erfahrener Mann aus Deutschland. Gerhard Conrad kommt vom Bundesnachrichtendienst und hat sich einen legendären Ruf erworben. Mit viel Ausdauer vermittelte er den Austausch von Gefangenen zwischen Israel und Terrororganisationen wie der Hisbollah und Hamas. Dass sich Conrad und Maaßen schon lange kennen, dürfte die Zusammenarbeit von INTCEN und CTG befördern. Dennoch bleibt fraglich, ob das reicht, zumal sich in der „Counter Terrorism Group“ nicht alle 30 Mitglieder mit derselben Intensität engagieren. Auch die EU-weite Kooperation der Nachrichtendienste mit der Polizei ist zumindest ausbaufähig.
Welche weiteren Probleme gibt es?
Die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten und der Austausch zwischen den nationalen Behörden ist unglaublich komplex. „Man muss sich nur anschauen, wie viele Mitgliedsstaaten Europa hat und schon in Deutschland gibt es kein einheitliches System unter den Bundesländern“, der EU-Sicherheitsforscher Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dazu kämen zahlreiche datenschutzrechtliche Schwierigkeiten und die Frage, wer auf welche Daten Zugriff haben sollte. „Muss jedes Ausländeramt wissen, was die Polizisten wissen?“
Auch der Grünen-EU-Politiker Jan Philipp Albrecht sieht in der Vielzahl der gesammelten Daten in der EU ein Problem. „In den vergangenen zehn bis 15 Jahren ist man dazu übergegangen, immer mehr Daten zu erheben, größtenteils von nicht verdächtigen Personen.“ Das Geld, das dafür ausgegeben wurde, fehle jetzt. „Zum Beispiel wenn es darum geht, Polizeibeamte darin zu schulen, wie sie mit wirklich wichtigen Daten umzugehen haben“, sagt Albrecht. Denn selbst, wenn ein Mitgliedsstaat einem anderen Informationen weitergebe, heiße das nicht, dass dieser auch darauf reagiere. Das habe man beispielsweise nach den Anschlägen in Frankreich gesehen.
Zudem würden die Systeme zum Teil nicht richtig genutzt. So solle jede Behörde ins Schengen-Informationssystem SIS verdächtiges Verhalten eintragen und wenn diese Person eine Grenze übertrete, poppe eine Warnung auf. „Soweit die Theorie. In der Realität tragen manche Behörden die Informationen nicht ein oder Grenzbehörden reagieren nicht auf die Warnmeldungen“, sagt Albrecht. Man solle nicht mehr anlasslos Daten sammeln und neue Computersysteme aufbauen, empfiehlt der Grünen-Politiker. „Wir sollten uns lieber auf eine verdachtsabhängige Datensammlung konzentrieren.“ So koste das neue EU-Ein- und Ausreisesystem für Drittstaatenangehörige EES eine Milliarde Euro. In die gemeinsamen europäischen Ermittlungsteams unter dem Dach von Europol würden jährlich nur einige hunderttausend Euro investiert. „Das ist ein Missverhältnis“, sagt Albrecht. Zumal diese Joint Investigation Teams (JITs) sich beispielsweise bislang nur mit organisierter Kriminalität und Geldwäsche beschäftigten, aber nicht mit Terrorismus. „Das muss sich ändern. Die JITs sind ein Erfolgsmodell.“ Auch der EU-Sicherheitsforscher Bossong ist skeptisch, „ob der europäische Datenaustausch wirklich das fehlende Puzzleteil ist, das derartige Anschläge verhindern kann.“ In Barcelona sehe er dafür wenige Anhaltspunkte. „Da hätten Betonpoller auf der Rambla mehr genutzt.“
Wie ist die Situation in Deutschland?
Nach dem Anschlag von Anis Amri in Berlin kam die deutsche Sicherheitsarchitektur auf den Prüfstand. Ein Ergebnis: Der Informationsaustausch der Behörden hat einigermaßen funktioniert, doch die Erkenntnisse wurden nicht konsequent umgesetzt. Amri war mehrmals Thema im GTAZ, dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum, aber er blieb weitgehend unbehelligt. Im 2004 gegründeten GTAZ sitzen die Vertreter von 40 Behörden zusammen, darunter Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, alle Nachrichtendienste und die Bundesanwaltschaft. Obwohl Amri als Gefährder eingestuft war, kam er nicht in Auslieferungshaft. Auch seine Drogendealerei blieb folgenlos, obwohl die Taten möglicherweise für einen Haftbefehl gereicht hätten. In diesem Jahr sind mehrere Bundesländer dazu übergegangen, den Paragrafen 58a des Aufenthaltsgesetzes anzuwenden und Gefährder in ihre Heimatstaaten abzuschieben.
Warum unterschätzen Sicherheitsbehörden terrorverdächtige Personen?
Schon der Fall Anis Amri zeigt, dass Polizei und Nachrichtendienste die Bewertung der Gefahr, die von Terrorverdächtigen ausgeht, immer wieder neu justieren müssen. Bis zum Anschlag des Tunesiers in Berlin erschien den Behörden kaum vorstellbar, dass ein junger Mann, der zwischen Radikalisierung und kleinkrimineller Herumtreiberei lavierte, zu einem Anschlag wie der Todesfahrt über den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche fähig sein könnte. Auch Ahmad A., dem Messerstecher von Hamburg, wurde offenbar kein Terrorangriff zugetraut.
Die Sicherheitsbehörden sehen sich nun mit der Erkenntnis konfrontiert, dass selbst diffus agierende Personen extrem gefährlich sein können – und nicht nur die klassischen Fanatiker. Aber auch die Anschläge in Katalonien zeugen von der Wandlungsfähigkeit der Terrorszene. Sicherheitskreise sprechen von einer neuen Qualität. Kombinierte Attacken mit Fahrzeugen an zwei Orten hatte es bislang nicht gegeben, zumal vermutlich ein noch weit grausigeres Szenario geplant war, bis hin zum Anschlag auf die Sagrada Familia.