Soziale Lage: Europa ist gespalten
Kein Anlass für Optimismus: Die Krise hat vielen Menschen in Europa Arbeit und Perspektiven geraubt, mahnt EU-Sozialkommissar Andor. Es droht die Spaltung zwischen Nord und Süd.
Zu beschönigen gab es nichts für Lazlo Andor. „Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der sich verschlechternden sozialen Lage war 2012 ein weiteres miserables Jahr für Europa“, sagte der ungarische EU-Kommissar am Dienstag in Brüssel bei der Vorlage eines entsprechenden Berichts. Vor allem der Verlust des Arbeitsplatzes drängt immer mehr EU-Bürger ins Abseits: Die verfügbaren Haushaltseinkommen schrumpfen, das Armutsrisiko steigt deutlich – vor allem in den Ländern Süd- und Osteuropas. „Die Auswirkungen der Krise auf die soziale Lage machen sich nun deutlicher bemerkbar“, heißt es in der Stellungnahme der EU-Kommission.
Parallel zur Veröffentlichung des Ländervergleichs legte die Statistikbehörde Eurostat am Dienstag in Luxemburg die neuesten Zahlen zur Erwerbslosigkeit vor. Im November waren demnach 18,8 Millionen Menschen in den 17 Ländern der Euro-Zone ohne Arbeit – 113 000 mehr als im Vormonat und gut zwei Millionen mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote steht bei 11,8 Prozent – im Vergleich zu 11,7 Prozent im November und 10,6 Prozent Ende 2011. In allen 27 EU-Staaten zusammen sieht es nur geringfügig besser aus: Dort liegt die Quote aktuell bei 10,7 Prozent.
Besonders augenfällig ist das immer stärkere Auseinanderdriften der nördlichen und südlichen Staaten im Euro-Raum. „Es tut sich eine neue Schere auf zwischen Ländern, die in einer Abwärtsspirale aus sinkender Produktivität, rasant steigender Arbeitslosigkeit und schrumpfendem verfügbarem Einkommen der Haushalte gefangen zu sein scheinen, und Ländern, die der Krise bisher gut standgehalten haben“, schreibt die EU-Kommission. Während die geringsten Quoten aus Österreich (4,5 Prozent), Luxemburg (5,1 Prozent), Deutschland (5,4 Prozent) und den Niederlanden (5,6 Prozent) gemeldet werden, haben Spanien und Griechenland mit extrem hohen Arbeitslosenraten von jeweils 26 Prozent zu kämpfen. Noch im Jahr 2007 lag die Arbeitslosigkeit im Norden und Süden des Kontinents auf demselben Niveau – jetzt beträgt der Unterschied durchschnittlich 7,5 Prozentpunkte.
Entsprechend ist in den Krisenstaaten das Heer der Langzeitarbeitslosen angeschwollen. Die EU-Gesamtquote ist von drei Prozent im Jahr 2009 auf jetzt 4,6 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter angestiegen – wobei aber 90 Prozent des Anstiegs auf die acht Länder Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Polen, Spanien und Großbritannien zurückgehen.
Die unterschiedliche Arbeitsmarktentwicklung spiegelt sich auch in der Einkommensentwicklung. In zwei Dritteln aller EU-Staaten steht Privathaushalten heute weniger Geld zur Verfügung als 2009. Besonders stark geschrumpft ist das Bruttorealeinkommen in Griechenland (17 Prozent), Spanien (acht), Zypern (sieben) sowie Estland und Irland (je fünf Prozent). „Diese Entwicklung steht in krassem Gegensatz zu der Lage in den nordischen Ländern“, heißt es in dem Bericht. Als Beispiele werden Deutschland, Frankreich und Polen genannt, „wo aufgrund der Sozialfürsorgesysteme und der widerstandsfähigeren Arbeitsmärkte auch während der Krise das Gesamteinkommen steigen konnte“.
Direkt damit hängt auch zusammen, dass in den Krisenstaaten des Südens das Armutsrisiko besonders gestiegen ist. Im Durchschnitt ist nahezu jeder vierte EU- Bürger von Armut bedroht, doch verläuft die Entwicklung eben nicht gleichmäßig. Hinzu kommt, dass in den besonders betroffenen Staaten die politischen Strukturen und die Lage auf dem Arbeitsmarkt so sind, dass die Autoren der Studie von einer „massiven Armutsfalle“ schreiben. Es gebe oft „keinen finanziellen Spielraum mehr, um gegenzusteuern“, sagte Kommissar Andor. Er sprach zudem davon, dass „die erlernten Fähigkeiten dort besonders schlecht zu den angebotenen Stellen passen“. Die soziale Spaltung vertieft sich nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch in den Ländern selbst. „Der den Arbeitskräften zufallende Anteil des von der Wirtschaft generierten Gesamteinkommens ist in Europa im vergangenen Jahrzehnt zurückgegangen“, lautet die lapidare Feststellung der EU-Kommission: „Dabei hat sich die Schere zwischen gut und gering bezahlten Tätigkeiten weiter geöffnet.“
„Wir brauchen jetzt soziale Investitionen“, forderte Kommissar Andor. Der Bericht nennt unter anderem Mindestlöhne, wie es sie in vielen Mitgliedstaaten bereits gibt: Entgegen dem verbreiteten Vorurteil sei die „Beschäftigungsquote in diesen Ländern sogar tendenziell höher“. Andor verwies auch auf seinen Vorschlag einer sogenannten „Jugendgarantie“. Allen jungen Menschen ein Ausbildungs- oder Beschäftigungsangebot zu machen, würde Schätzungen zufolge rund 21 Milliarden Euro kosten.
Christopher Ziedler
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