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Dominik Bartsch koordiniert die Flüchtlingshilfe des UNHCR im Irak.
© UNHCR

Interview zur UN-Flüchtlingshilfe: "Europa hat eine besondere Verantwortung"

Der Koordinator für die UN-Flüchtlingshilfe im Irak, Dominik Bartsch, appelliert an die Staatengemeinschaft, die Arbeit des UNHCR stärker zu unterstützen. Ansonsten könnten sich noch mehr Menschen nach Europa aufmachen.

Herr Bartsch, Sie koordinieren die Flüchtlingshilfe im Irak. Wie ist die Situation aktuell?

Derzeit leben 3,2 Millionen Iraker als Vertriebene im eigenen Land. Sie hausen in Ruinen, in Lagern oder sind bei Verwandten untergekommen. Insgesamt ist rund ein Viertel der irakischen Bevölkerung auf Unterstützung angewiesen. Das sind etwa 10 Millionen Menschen. Denn auch diejenigen, die Flüchtlinge aufnehmen, können das meist nicht ohne Hilfe leisten. Doch es wird immer schwieriger für uns, dies zu gewährleisten. Von den 500 Millionen Dollar, die wir für das zweite Halbjahr 2015 mindestens bräuchten, stehen uns bisher nur 40 Prozent zur Verfügung. Dabei beruhen unsere Schätzungen schon auf einer strikten Prioritätenliste, auf der nur die dringendsten Grundbedürfnisse aufgeführt sind.

Was können Sie unter diesen Umständen konkret für die Menschen tun?

Ganz oben auf unserer Prioritätenliste stehen natürlich Nahrung und Wasser. Aber schon der Wasserwagen kommt nicht mehr unbedingt jeden Tag. Die Nahrungsmittelrationen wurden halbiert. Auch unsere Gesundheitsleistungen mussten wir stark einschränken. Insgesamt 77 Gesundheitszentren mussten wir schließen. Inzwischen ist im Irak Cholera ausgebrochen. Das Schulprogramm musste ebenfalls zurückgefahren werden.

Der Etat des UN-Flüchtlingshilfswerks ist abhängig von freiwilligen Zahlungen der Weltgemeinschaft. Warum tun die nicht mehr?

Ein Grund ist sicher, dass der Irak als ein Land bekannt ist, das Öl fördert. Dass es sich hier also nicht um ein armes Land handelt. Doch die Lage hat sich seit dem Krieg dramatisch verschärft. Der Irak trägt schließlich die Hauptlast im Kampf gegen den Islamischen Staat. Die Regierung verfügt kaum noch über finanzielle Ressourcen. Sie kann nicht einmal mehr die Gehälter der Staatsbediensteten bezahlen. Die humanitäre Krise wird von außen aber nicht so wahrgenommen.

Die Unterstützung fehlt aber doch nicht nur für den Irak. Auch für Syrienflüchtlinge im Libanon oder Jordanien fehlen dem UNHCR Mittel.

Es gibt inzwischen weltweit fünf, sechs große humanitäre Krisen. Das hat zur Folge, dass die Etats der Geberländer zur Unterstützung des UNHCR ausgeschöpft sind. Wir können daher nur an die Staatengemeinschaft appellieren, diese Etats noch einmal aufzustocken.

Wen sehen Sie hier besonders in der Pflicht?

Wir vertrauen auf die Solidarität der Staatengemeinschaft. Bestimmte Staaten sollten aber zweifellos ein besonderes Interesse daran haben, in der konkreten Situation zu helfen. Angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise in Europa sehe ich die europäischen Staaten besonders in der Verantwortung.

Dann sollte sich also auch Deutschland angesprochen fühlen?

Ja, das sehe ich auch so.

Was ist eigentlich mit den Golfstaaten? Müsste es hier nicht ein besonders Verantwortungsgefühl geben?

Kuwait und Saudi-Arabien haben uns im vergangenen Jahr unterstützt. Sie sind aber auch bilateral aktiv. Aber es stimmt schon, wir erwarten auch von dort mehr Unterstützung. Insgesamt müssen die Lasten besser verteilt werden. Besonders in der Region selbst.

Sitzen die Binnenvertriebenen im Irak angesichts der fehlenden Hilfe auf gepackten Koffern?

So dramatisch ist es wohl nicht. Man muss aber sehen, dass sich die Krise immer weiter zuspitzt. Viele der Binnenvertriebenen hatten gehofft, dass die Offensive gegen den Islamischen Staat erfolgreich ist und sie bald in ihre Wohnorte zurückkehren können. Aber diese Möglichkeit ist in den vergangenen Monaten in weite Ferne gerückt. Sie sehen nun keine Perspektive mehr für ihre Familien. Ich habe mit Eltern gesprochen, die ihre Kinder seit einem Jahr nicht zur Schulen schicken konnten. Das ist für sie natürlich untragbar.

Flüchtlinge aus dem Irak und aus Syrien haben in Europa einen guten Status. Sind es wirklich vor allem gebildete, die sich zu uns aufmachen?

Grundsätzlich gilt der Irak als ein Land mit gutem Bildungsniveau. Auch unter den Binnenflüchtlingen sind Akademiker. Sie repräsentieren einen Querschnitt der Bevölkerung. Diese Leute konnten zunächst noch auf Ersparnisse zurückgreifen und sich so ganz gut versorgen. Aber die Reserven gehen nun zu Ende. Auch das ist für viele ein Grund, sich jetzt doch auf den Weg nach Europa zu machen.

Letztlich heißt das doch, wenn sich die Staatengemeinschaft jetzt nicht aufrafft und Ihre Arbeit massiv unterstützt, wird sich die Flüchtlingskrise bei uns weiter verschärfen.

Das können wir in der Tat nicht ausschließen. Es ist gut möglich, dass immer mehr Menschen den Punkt erreichen, wo sie keine Möglichkeit mehr sehen, unter den gegebenen Bedingungen zurechtzukommen - und wo ihnen nur noch die Hoffnung bleibt, nach Europa zu kommen.

Dominik Bartsch ist der stellvertretende Humanitäre Koordinator der UN für den Irak.

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