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Die Zeitungen kennen am Montag nur ein Thema: das Nein der Griechen zur Sparpolitik.
© dpa

Presseschau zum Referendum in Griechenland: "Europa - ein loser Bund von Sonderlingen?"

Die Griechen haben sich entschieden - mit deutlicher Mehrheit gegen die Sparpolitik der internationale Geldgeber. Ein Blick in die nationale und internationale Presse.

Von Lutz Haverkamp

Die "Berliner Zeitung" sieht eine Gefahr für die ganze Europäische Union: "Der Ruf ,Griechen raus aus Euroland' ist überraschend schnell salonfähig geworden. Tsipras und Co. haben dies durch ihre Taktik begünstigt. Aber in der Eurokrise ist viel zerbrochen. Auch die Kunst zum Kompromiss. Das lastet auch auf anderen Debatten: Großbritannien fragt nach seiner Zukunft in der EU. Europa droht statt ein Staatenbund ein loser Bund von Sonderlingen zu werden.

Der Kommentator des "Handelsblatts" glaubt nicht an eine Zukunft Griechenlands im Euro: "Wenn sich Tsipras deswegen nicht bewegt, wird Griechenland den Euro verlieren. Und zwar nicht, weil die Griechen unsanft rausgeschmissen werden, oder selbst austreten, sondern weil schlicht kein Euro mehr da ist. Eine Parallelwährung einzuführen, die Rückkehr der Drachme vorzubereiten und dann unter ganz anderen Vorzeichen Reformen und Wachstum einzuleiten - das ist das, was der Regierung in Athen jetzt bevorsteht, wenn sie aufrichtig bleiben will. Nach der Leistung, die sie bisher gezeigt hat, bin ich mir allerdings nicht sicher, ob sie diese Herkulesaufgabe bewältigen kann."

"Die Welt" schlägt einen großen Bogen und stellt den Euro in Zusammenhang mit der europäischen Friedensordnung: "Der Frieden in Europa kann ohne den Euro nur schwer gewahrt werden. Die vergangenen Jahrzehnte bieten genug Beispiele dafür, was die Existenz der gemeinsamen Währung an Konflikten verhindert hat. Das Ziel muss sein, Euro-Europa so stabil zu machen, dass es für die Stabilität der Währung gleichgültig ist, ob Syriza Kopfstand macht."

Im "Kölner Stadt-Anzeiger" bezweifelt der Kommentator, dass die Solidarität in der Euro-Zone grenzenlos ist: "Politisch bleibt der Euro ein kippeliges Gebilde. Ökonomisch gilt dies ohnehin. Vorgaben aus Brüssel, das hat die Debatte mit Athen gezeigt, werden im Süden als Euro-Kolonialismus empfunden. Aber eine Transferunion, also gegenseitige Hilfen nach Art des deutschen Länderfinanzausgleichs, sind im Norden - und Osten - der EU nicht zu vermitteln. Schon Bayern und Hessen wollen nicht für das Saarland oder Berlin zahlen. Warum dann für Athen oder Porto? Die Wahrheit aber ist: Dem Währungsraum krankt nicht nur an Produktivitätsdifferenzen, fehlenden soliden Finanzen und Reformen sondern auch an einem Härten ausgleichenden Transfersystem. Aber niemand mag für Athen einstehen. Jeder zahlt für sich allein. Solidarität kennt Grenzen."

Die Pariser "Libération" sieht die EU nach dem Referendum in Griechenland vor schweren Entscheidungen: "Griechenland wird sich in eine einsame Odyssee stürzen, die eines Odysseus würdig ist ... Wollen wir ein Volk zurückweisen, das seine Rebellion mit seinem Leid rechtfertigt? Wollen wir den langen Traum von einem vereinten Europa zerbrechen, der seit Ende des letzten Weltkriegs von mehreren Generationen getragen wurde? Den Traum von einem Europa, das auf humanistischen Werten basiert und alleine in der Lage ist, auf der globalisierten Bühne eine Rolle zu spielen? Es gibt einen anderen Ausweg, als diese Tragödie. Austeritätspolitik oder politische Zersetzung der EU - das ist nun die Wahl."

"Die Presse" aus Wien blickt auf die Reaktion der Geldgeber: "Die Frage ist jetzt, wie die Eurozone und die EZB darauf reagieren. Eine Zeit lang werden diverse Hilfen auch ohne offizielles Rettungsschirmprogramm noch weitergehen, das ist klar. Man hat ja auch die Kapitalflucht aus Griechenland abseits der traditionellen Programme mit Hilfskrediten finanziert. Aber irgendwann muss Schluss sein: Entweder die Griechen setzen jetzt im eigenen Land strukturelle Schritte, die vermuten lassen, dass sie mittelfristig wieder auf eigenen Beinen stehen können. Oder die Eurozone muss zusehen, wie sie möglichst rasch und unter Schadensminimierung aus der Sache herauskommt. Die konsequenzenlose Daueralimentation eines von Korruption und Vetternwirtschaft geplagten dysfunktionalen Staatswesens ist jedenfalls keine Option."

Die russische Tageszeitung "Kommersant" aus Moskau sieht Populismus am Werk: "Das Ergebnis dieses historischen Referendums beeinflusst nicht nur das Schicksal Griechenlands, sondern auch die Zukunft der Eurozone und in bestimmter Weise der ganzen EU. 61 Prozent Nein-Stimmen sind ein beeindruckender Sieg von Alexis Tsipras - vielleicht aber auch nur ein Pyrrhussieg, wie einige Kommentatoren meinen. Sie prophezeien der griechischen Wirtschaft katastrophale Folgen und den Gang des Landes aus der Eurozone. In einer populistischen Kampagne hat die Regierungspartei mit den nationalen Gefühlen gespielt und den Eindruck erweckt: ,Sagen Sie Nein, und alles wird gut.' Aber die Schicksalsfrage ,Ja oder Nein' hat die griechische Nation gespalten."

Die konservative britische "Times" bezweifelt vor allem mit Blick auf Deutschland eine schnelle Einigung zwischen Griechen und Geldgebern: "Athen stehen chaotische Tage bevor. Die Länder, die sich für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone eingesetzt haben, müssen sich jetzt dringend mit dieser großen politischen Herausforderung befassen. Sie müssen entscheiden, ob die Regeln falsch waren, oder ob die griechischen Banken eingebrochen sind, weil man gegen die Regeln verstoßen hat. Die Euro-Idealisten, besonders die in Deutschland, könnten selbst jetzt immer noch darauf bestehen, Griechenland zu retten. Doch die Euro-Verbraucher, in erster Linie die deutschen Wähler, werden wohl nicht mehr damit einverstanden sein."

Auch die "Neue Zürcher Zeitung" kommentiert den Ausgang des griechischen Referendums: "Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion kann nicht erzwungen werden, ist aber die logische Konsequenz aus dem Volksnein. Die Syriza-Truppe soll ohne den 'reichen Onkel' aus Brüssel ihre Wege suchen müssen, um Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. Auch die Griechen dürften dabei früher oder später erkennen, dass nichts daran vorbeiführt, wirtschaftlich wettbewerbsfähiger zu werden. Mit einem Grexit wird dies eher zu bewerkstelligen sein. Regionalpolitische und humanitäre Hilfen für das EU-Mitgliedsland mögen dazu beitragen, dass es nicht im Chaos versinkt. Aber Athen muss jetzt seinen eigenen, schwierigen Weg gehen - je konsequenter, desto besser. Europa wird das nicht schaden." (mit dpa/AFP)

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