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FN-Chefin Marine Le Pen rief nach dem Triumph ihrer Partei noch am Wahlabend zu "Neuwahlen" auf
© dpa

Extreme Alternativen bei der Europawahl: Eurokritische Parteien dürfen künftig stärker mitbestimmen

Populistische Parteien vom linken und rechten Rand werden zukünftig in Europa mehr Einfluss haben. Wie schnitten sie in den EU-Staaten ab?

Eine Tendenz ist klar bei dieser Europawahl: die eurokritischen Parteien werden zukünftig im Europaparlament stärker mitbestimmen. Während die AfD in Deutschland mit sechs Prozent zwar erfolgreich aber nicht dominierend ist, sieht das in anderen Ländern ganz anders aus. Dabei sind die Parteien sowohl am rechten als auch am linken Rand angesiedelt, manche auch nicht eindeutig zuzuordnen.

Rekordergebnis für Front National in Frankreich

Ganz klar nach rechts gerutscht sind die Stimmen in Frankreich. 25 Prozent der Wähler stimmten nach den am Abend veröffentlichten Hochrechnungen für die antieuropäische Nationale Front. Für die konservative UMP votierten 20,3 Prozent und die Partei des sozialistischen Präsidenten Francois Hollande landete mit 14,7 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz. Es ist das erste Mal, dass die bisher als Außenseiter geltende Nationale Front bei einem landesweiten Urnengang vor allen anderen Parteien auf dem ersten Platz landete.

„Das souveräne französische Volk hat gesprochen", erklärte Marine Le Pen, die Präsidentin der Nationalen Front nach der Wahl. Die Franzosen wollten nicht mehr von den Technokraten in Brüssel regiert werden, sagte sie, und sich nicht mehr Gesetzen unterwerfen, über die sie nicht selbst abgestimmt hätten. Nach einer Analyse des Forschungsinstituts IPSOS stimmten 61 Prozent der FN-Wähler aus europapolitischen Gründen für die Nationale Front und 39 Prozent aus Gründen der französischen Politik.

Sieger und Verlierer zogen am Abend unterschiedliche Konsequenzen aus dem Ausgang. Während Le Pen die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen forderte, beschränkten sich UMP-Präsident Copé und die Liberalen darauf, Präsident Hollande zu politischen Kurskorrekturen zu drängen. Außenminister Fabius äußerte die Hoffnung, dass mehr europapolitische Erfolge zu einer Umkehrung der antieuropäischen Stimmung führen würde.

Extreme von beiden Rändern punkten in Griechenland

In Griechenland haben die Extreme an beiden Rändern Zulauf. Es zeichnete sich am Sonntagabend ein Sieg des Bündnisses der radikalen Linken (Syriza) ab. Nach Auszählung von rund 20 Prozent der abgegebenen Stimmen kam das Linksbündnis auf 26,4 Prozent. Auf dem zweiten Platz lag die konservative Nea Dimokratia von Ministerpräsident Antonis Samaras mit 23,3 Prozent. Drittstärkste Partei wurde dieser Umfrage zufolge die neofaschistische und militant europafeindliche Goldene Morgenröte mit 9,4 Prozent. Die Partei hatte mit nationalistischen, ausländerfeindlichen und rassistischen Parolen um Stimmen geworben.

Nach vier Jahren Sparkurs, der dem Land die höchste Arbeitslosigkeit und die tiefste Rezession seit Kriegsende bescherte, sind viele Griechen offensichtlich auf die EU nicht gut zu sprechen. Davon profitierte der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras mit seinem Linksbündnis Syriza. Tsipras hofft, mit einem klaren Sieg seiner Partei den konservativen Premier Samaras aus dem Amt zu hebeln und vorgezogene Nationalwahlen herbeizuführen. Für Samaras, der sich im Parlament nur noch auf eine knappe Mehrheit von 152 der 300 Mandate stützt, stand somit bei der Europawahl viel auf dem Spiel. Tsipras will die Kreditverträge mit der EU einseitig aufkündigen und den Schuldendienst einstellen. Dann könnten dem Land neue Turbulenzen drohen.

Umfragen gehen von Sieg der euroskeptischen Ukip in Großbritannien aus

Nach dem politischen Erdbeben, das bei den Gemeindewahlen von der Anti-EU-Partei Ukip ausgelöst wurde, rechnete GROSSBRITANNIEN am Sonntagabend mit neuen Erfolgen der Bewegung. Endgültige Ergebnisse werden zwar erst am Montag bekannt. Doch aktuelle Umfragen gingen von einem Wahlsieg der euroskeptischen Ukip mit 29 Prozent der Stimmen aus. Labour wäre demnach auf 27, die Konservativen auf 22 Prozent gekommen. Ukip wäre im Europaparlament mit 24 der 70 britischen Mandate vertreten – und damit eine der größten nationalen Parteifraktionen.

Die Briten sehen die Wahl als Testlauf für die Unterhauswahl 2015. Sollte Ukip tatsächlich Labour überrunden, würden in der Partei Zweifel wachsen, ob Parteichef Ed Miliband die Tory-geführte Regierung von Premier David Cameron tatsächlich ablösen kann.

Ukips Erfolge lösten in allen Parteien Forderungen nach politischen und personellen Konsequenzen aus und verstärkten den Eindruck, dass die in London konzentrierten politischen Eliten den Kontakt zu den Wählern im Land verlieren. Bei den Tories forderten Europagegner eine Vorverlegung des für 2017 versprochenen Referendums. Es mangle Camerons Politik an „Klarheit und Glaubwürdigkeit“, schrieb der Tory-Rechte David Davis in der „Sunday Times“. Bei den Liberaldemokraten zirkuliert eine Petition, die den Rücktritt von Parteichef und Vizepremier Nick Clegg fordert.

Der Wahlausgang in Europa könnte Premier Camerons Versuch gefährden, vor dem britischen Referendum umfassende EU-Reformen zu erzielen, wenn sich Integrationsbefürworter im neuen Parlament gegen den Ansturm der Anti-EU- Parteien stellen. Cameron wird seinen Widerstand gegen die Ernennung eines der „Spitzenkandidaten“ der Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten verschärfen. Martin Schulz und Jean- Claude Juncker gelten in Großbritannien als radikale Vertreter der bürgerfernen EU-Technokratie. Sogar Labour distanzierte sich vom Sozialdemokraten Schulz, er reiste im Wahlkampf nicht nach Großbritannien.

Auch Labourchef Miliband steht nun unter Druck. Er habe auf das von Ukip vorgelegte Wahlkampfthema Immigration „keine Antwort gegeben“, kritisierte der Abgeordnete John Mann. Aktuelle Zahlen des Statistikamts ONS hatten am Wahltag den Anstieg der EU-Einwanderung um 43000 auf 201000 bestätigt. Ukip-Chef Nigel Farage kritisierte die „Machtlosigkeit der Politik“, Einwanderungsströme zu beeinflussen.

Elisa Simantke, Gerd Höhler, Matthias Thibaut

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