Parlament lehnt alle Austritts-Optionen ab: EU-Verhandlungsführer Barnier hält harten Brexit nun für wahrscheinlicher
Das britische Unterhaus hat erneut alle Brexit-Optionen abgelehnt. EU-Politiker reagieren entsetzt.
EU-Politiker haben entsetzt auf die erneute Ablehnung aller Brexit-Optionen im britischen Unterhaus reagiert. Die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit ist nach den Worten von EU-Verhandlungsführer Michel Barnier gestiegen. "In den vergangenen Tagen ist ein No-Deal-Szenario wahrscheinlicher geworden, aber wir können immer noch hoffen, es zu vermeiden", sagte Barnier in Brüssel. Die Europäische Union sei bereit, Großbritannien in der Zollunion zu halten oder eine ähnliche Beziehung wie die zwischen der EU und Norwegen zu akzeptieren.
Für einen geregelten EU-Ausstieg müsse das britische Parlament aber den bereits ausgehandelten Austrittsvertrag verabschieden. „Wenn Großbritannien die EU immer noch auf geordnete Art und Weise verlassen will, ist und bleibt diese Vereinbarung die einzige“, sagte Barnier. „Der einzige Weg, einen No-Deal zu vermeiden, wird ein positives Votum sein.“
Geschehe dies noch vor dem EU-Sondergipfel am 10. April, könne er sich eine weitere kurze Verschiebung vorstellen - auch wenn dies in der Hand der Staats- und Regierungschef liege. Stimme das Unterhaus jedoch in den nächsten Tagen nicht mehr zu, blieben nur zwei Optionen: ein EU-Austritt ohne Vertrag, den das Unterhaus erklärtermaßen nicht wolle, oder eine lange Verschiebung des Brexits. Da dieser für die EU große politische Risiken berge, müsste Großbritannien dafür eine sehr gute Begründung liefern.
Das Unterhaus hatte am Montagabend alle vier zur Abstimmung stehenden Brexit-Vorschläge abgelehnt. Es hat auch bereits drei Mal gegen das EU-Austrittsabkommen gestimmt. Das britische Kabinett sucht an diesem Dienstag in einer Marathon-Sitzung nach einem Ausweg aus dem Brexit-Chaos.
Die Briten brauchen Zeit, um in aller Ruhe über ihre Zukunft nachdenken zu können und einen Konsens zu finden, der nicht nur im Parlament, sondern auch in der Gesellschaft mehrheitsfähig ist. Die Großzügigkeit würde der EU am Ende gut zu Gesicht stehen, zeugte sie doch von Selbstbewusstsein und Souveränität.
schreibt NutzerIn Gophi
„Ein harter Brexit wird nun fast unausweichlich“, schrieb auch der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, am späten Montagabend auf Twitter. „Am Mittwoch hat Großbritannien die letzte Chance, die Blockade zu durchbrechen oder in den Abgrund zu blicken.“
Der SPD-Europapolitiker Jens Geier sprach von einer „inzwischen lächerlichen Selbstblockade im britischen Parlament“ und forderte: „Einer Verlängerung der EU-Mitgliedschaft über den 12. April hinaus kann die Europäische Union nur mit der gleichzeitigen Ansage eines zweiten Referendums stattgeben.“ Das übrige politische Europa betrachte den Machtkampf in London „inzwischen überwiegend gelangweilt“, meinte Geier.
Antragsteller Nick Boles trat unter Tränen aus seiner Partei aus
Brexit-Minister Stephen Barclay brachte eine erneute Abstimmung über das Abkommen von Premierministerin May ins Spiel. Es sei möglich, noch in dieser Woche einen Deal zu erreichen und eine Teilnahme an der Europawahl im Mai zu verhindern, sagte Barclay nach Bekanntwerden der Abstimmungsergebnisse. Gesundheitsminister Matt Hancock twitterte: „Können wir jetzt bitte alle für den Deal stimmen und den Brexit durchführen?“
Viele britische Abgeordnete waren nach Bekanntgabe des Ergebnisses völlig frustriert. Nick Boles, der einen der Alternativvorschläge eingebracht hatte, trat unter Tränen umgehend aus der regierenden Konservativen Partei aus. „Ich habe alles gegeben, um einen Kompromiss zu finden, um unser Land aus der EU zu bringen und trotzdem unsere wirtschaftliche Stärke und unseren politischen Zusammenhalt zu bewahren. ... Ich habe versagt.“
Das britische Parlament hatte am Montagabend über vier verschiedene Optionen des EU-Austritts abgestimmt und alle abgelehnt. Die Entscheidung über einen Verbleib in der Zollunion fiel aber denkbar knapp aus: 273 Abgeordnete stimmten dafür, 276 dagegen. Am Mittwoch soll erneut abgestimmt werden. Ohne Lösung scheidet Großbritannien am 12. April ungeregelt aus der EU aus. (dpa)