Flüchtlingskrise: EU-Staaten verlangen Lockerung der Schuldenregeln
Die EU-Finanzminister bitten die EU-Kommission zu prüfen, ob die Ausgaben für die Aufnahme von Flüchtlingen beim Staatsdefizit angerechnet werden kann.
Wegen der Flüchtlingskrise verlangen die EU-Staaten eine Lockerung der vereinbarten Schuldenregeln. Die EU-Finanzminister baten am Freitag die EU-Kommission zu prüfen, ob die Ausgaben für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen beim Staatsdefizit angerechnet werden können. Dadurch bekämen die Länder mehr Spielraum, um ihre mittelfristigen Haushaltsziele zu erreichen. Laut Maastricht-Vertrag soll das Defizit drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten.
Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna sagte, die Staaten müssten nun zusätzliche Kosten stemmen, etwa für die Aufnahme von Flüchtlingen, deren Integration in den Arbeitsmarkt oder auch für Sicherheitsfragen. „All diese Elemente haben Auswirkungen auf den Haushalt der EU und auf die nationalen Haushalte“, sagte Gramegna. „Jeder sieht doch, dass dies eingestuft werden könnte als außerordentliche Umstände, die im (Stabilitäts- und Wachstums)-Pakt vorgesehen sind.“ Luxemburg hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft.
Auf die Frage, ob auch Staaten wie Deutschland, Österreich und Finnland - die stets die strenge Einhaltung der Stabilitätsregeln fordern - dieses Ansinnen unterstützten, sagte Gramegna: „Dieses Thema war gar nicht umstritten.“
Die Finanzminister könnten im Oktober darüber diskutieren
EU-Währungskommissar Pierre Moscovici versprach eine Analyse dieser Frage: „Man muss die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen dieser Krise auf die einzelnen Haushalte prüfen.“ Die Finanzminister könnten bei ihrem nächsten Treffen Anfang Oktober darüber diskutieren. Neuen Streit gibt es unterdessen um die Reform der Währungsunion. Deutschland geht dabei auf Konfrontationskurs zu Brüssel. Berlin stemmt sich gegen Vorschläge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur gemeinsamen Sicherung von Bankguthaben der Kunden im Euro-Raum über die Grenzen hinweg. Am Rande des EU-Finanzminister-Treffens am Freitag in Luxemburg wurde ein internes Papier des Bundesfinanzministeriums bekannt, das der Deutschen Presse-Agentur dpa vorlag. Darin heißt es: „Jetzt eine Diskussion über die weitere Vergemeinschaftung von Bank-Risiken durch eine gemeinsame Einlagensicherung oder ein europäisches Einlagensicherungssystem zu starten, ist inakzeptabel.“ Das Papier war zuvor von der „Financial Times“ veröffentlicht worden.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will dem Vernehmen nach am Samstag das deutsche Nein vortragen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass das Vorhaben schnell vorankommt.
Deutsche Sicherungssysteme dürften nicht für Bankenprobleme in anderen Euro-Ländern angezapft werden, lautet das Argument aus Deutschland. „Eine mögliche Transferunion lehnen wir entschieden ab“, schrieb die Deutsche Kreditwirtschaft als Dachorganisation der Bankenverbände. Denn manche Staaten sind erst dabei, eine nationale Einlagensicherung aufzubauen. Der litauische Finanzminister Rimantas Sadzius sagte: „Der erste notwendige Schritt ist, die Gesetzgebung umzusetzen - und das ist immer noch ein Problem für viele, viele europäische Länder.“
Der Aufbau eines gemeinsamen europäischen Einlagensicherungsfonds als dritte Säule der Bankenunion war auch in der Vergangenheit vor allem am deutschen Widerstand gescheitert. Seit Juli gilt in allen 28 EU-Staaten im Fall einer Bankenpleite ein gesetzlich garantierter Schutz von bis zu 100 000 Euro pro Kunde und pro Bank. Darüber hinaus gibt es die Idee, die nationalen Systeme im Fall von Bankpleiten in einem europäischen System zusammenzuführen.
Am zweiten Tag des Treffens wollen elf Staaten, darunter Deutschland, einen neuen Anlauf nehmen, um die schleppende Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer voranzutreiben. (dpa)