Flüchtlinge im Mittelmeer: EU-Seenotrettung "Sophia" kann erst einmal bis Ende August laufen
Italien will keine von EU-Schiffen geretteten Migranten mehr aufnehmen. Der Kommandeur der Rettungsflotte beordert alle Schiffe in die Häfen.
Die EU-Marine-Mission "Sophia" kann einem Bericht zufolge vorerst bis Ende August fortgeführt werden. Nach der Drohung Italiens, seine Häfen für Schiffe des EU-Einsatzes mit im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen zu schließen, werde der Einsatz beibehalten, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Freitag nach einem Krisentreffen aus EU-Kreisen. Binnen fünf Wochen soll nun eine Lösung mit Rom für die Mission gefunden werden, an dem auch die Bundeswehr beteiligt ist.
Mehrere Diplomaten wiesen Medienberichte zurück, dass die Mission vorerst gestoppt worden sei. Richtig sei aber, dass der Kommandant des Einsatzes die Schiffe nach der ersten EU-Sitzung am Mittwoch zunächst in die Häfen zurückbeordert habe, sagte ein Ländervertreter.
Die EU-Mission "Sophia" war im Juni 2015 wegen der Flüchtlingskrise geschaffen worden und ist in internationalen Gewässern vor Libyen im Einsatz. Sie geht dort gegen Schleuser vor, rettet aber auch Flüchtlinge aus Seenot. In den drei Jahren seit Bestehen wurden durch die "Sophia"-Schiffe 49.000 Menschen gerettet. Sie wurden bisher in Italien an Land gebracht.
Italien eskaliert den Streit um "Sophia"
Italien erzwang mit einer Blockadedrohungen eine sofortige Überprüfung des EU-Marineeinsatzes vor der libyschen Küste. Vertreter der EU-Staaten einigten sich nach Angaben von Diplomaten am Freitagabend in Brüssel darauf, möglichst innerhalb der kommenden fünf Wochen eine neue Strategie zum Umgang mit bei dem Einsatz geretteten Migranten zu vereinbaren. Diese waren bislang ausschließlich nach Italien gebracht worden. Die Regierung in Rom hatte deswegen zuletzt damit gedroht, italienische Häfen für Schiffe der EU-Operation zu sperren.
In Italien wird der auch von Deutschland mit einem Marineschiff unterstützte EU-Einsatz bereits seit längerem mehr als Problem denn als Hilfe gesehen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Regierung 2015 damit einverstanden erklärt hatte, dass am Rande des Einsatzes gerettete Migranten in italienische Häfen gebracht werden. Damals war noch nicht absehbar gewesen, dass die eigentlich für den Kampf gegen Schleuserkriminalität losgeschickten EU-Schiffe Zehntausende Menschen an Bord nehmen würden.
Streit um Einsatz privater Seenotretter
Zuvor war bekannt geworden, dass Italien künftig offenbar auch keine Flüchtlinge mehr aufnehmen will, die von Schiffen der EU-Marinemission „Sophia“ aus dem Mittelmeer gerettet wurden. Das geht laut der Zeitung „Die Welt“ aus einem Schreiben von Außenminister Enzo Moavero Milanesi an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hervor. Auf Botschafterebene in Brüssel werde seit Mittwoch über alternative Lösungen beraten, ein Konsens sei dabei nicht gefunden worden, hieß es in dem Zeitungsbericht.
Der "Spiegel" berichtete, dass die Mission "Sophia" vorerst eingestellt wird. Demnach beorderte der Kommandeur der Mission, der italienische Admiral Enrico Credendino, alle beteiligten Kriegsschiffe zurück in die Häfen. Mit der Order sei die EU-Rettungsmission faktisch gestoppt. Im Rahmen der Operation "Sophia" sind nach Angaben der Bundeswehr seit Mai 2015 mehr als 49.000 Menschen aus Seenot gerettet worden, 22.543 durch deutsche Marinesoldaten.
Der EU-geführte Einsatz Eunavfor Med Operation Sophia hat die Aufgabe, Menschenschmugglern und Schleppern das Handwerk zu legen, ist aber auch an der Seenotrettung beteiligt. Die Schiffe kreuzen im zentralen Mittelmeer, wo ein Großteil der Migranten versucht, nach Italien und damit in die EU zu gelangen. „Wir fordern umgehend eine Revision des Operationsplanes für die Regeln zur Ausschiffung, um sie in vollen Einklang zu bringen mit dem Prinzip einer fairen Aufgabenteilung“, zitiert die Zeitung aus dem Schreiben von Außenminister Milanesi. Italien sei „nicht mehr in der Position“ sich den Einsatzplänen von Eunavfor Med entsprechend zu verhalten.
Diese orientierten sich an der nicht mehr existenten Frontex-Mission „Triton“. „Im Rahmen dieser Mission wurden alle geretteten Migranten ausschließlich in italienische Häfen gebracht – ohne anschließend zwischen den Mitgliedstaaten aufgeteilt zu werden.“ In den vergangenen Wochen hatte Italien immer wieder Rettungsschiffen, vor allem privater Hilfsorganisationen, die Einfahrt verwehrt. Vor wenigen Tagen war für 450 gerettete Flüchtlinge, die zuvor auf dem Meer ausharren mussten, eine Lösung gefunden worden: Nach Zusagen von fünf EU-Ländern, die Menschen aufzunehmen, durften sie auf Sizilien an Land gehen.
Auch Tunesien verweigert einem Versorgungsschiff mit 40 aus Seenot geretteten Flüchtlingen an Bord die Einfahrt in den Hafen von Zarzis. Die tunesische „Sarost 5“ liege seit Montag wenige Seemeilen vor Südtunesien, berichteten tunesische Menschenrechtler am Freitag. Die Flüchtlinge waren bereits Ende vergangener Woche nahe einer Ölplattform vor den tunesischen Kerkennah-Inseln geborgen worden. Unter ihnen sind acht Frauen, von denen eine schwanger ist.
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Libyen sperrt sich gegen Aufnahmezentren
Der libysche Regierungschef Fajes al-Sarradsch hat sich entschieden gegen Aufnahmezentren der EU für Flüchtlinge in seinem Land ausgesprochen. „Nein, das wird es bei uns nicht geben“, sagte al-Sarradsch der „Bild“-Zeitung vom Freitag. „Wir sind absolut dagegen, dass Europa ganz offiziell bei uns illegale Migranten unterbringen will, die man in der EU nicht haben möchte“, fügte er hinzu. Libyen lehne auch Geldzahlungen für ein solches Vorgehen ab. „Wir werden auch keine Deals mit Geld mit der EU machen, um illegale Migranten aufzunehmen“, sagte der Chef der international unterstützten Regierung der nationalen Einheit in Libyen weiter.
Die EU solle vielmehr „mit den Ländern reden, aus denen die Menschen kommen und dort auch Druck ausüben“. Al-Sarradsch sagte, er wundere sich „schon sehr darüber, dass in Europa mittlerweile niemand mehr Migranten aufnehmen will, aber uns bittet, hier weitere hunderttausende aufzunehmen“.
Der libysche Regierungschef wünscht sich überdies mehr Besuche von EU-Politikern in seinem Land: Um Menschenschmuggler stärker bekämpfen zu können, seien globale Anstrengungen notwendig, weil das Schmuggler-netzwerk international sei. Wichtig dafür sei auch, „dass europäische Politiker ein besseres Verständnis dafür bekommen, wie es in Libyen aussieht“. Er hoffe in diesem Zusammenhang auch auf einen baldigen Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die EU hatte sich bei ihrem Gipfel Ende Juni auf eine Verschärfung ihrer Einwanderungspolitik verständigt. Dazu gehört unter anderem, Migranten in Aufnahmezentren außerhalb der EU unterbringen. (rtr/epd)