Klimaschutz: EU-Parlament lehnt Reform des Emissionshandels ab
Mit einer Notoperation wollte die EU-Kommission den Handel mit Kohlendioxid-Rechten wieder zu einem wirksamen Klimaschutzinstrument machen. Im Parlament verloren die Unterstützer des Plans knapp mit 334 zu 315 Stimmen. Nun steht die europäische Klimapolitik auf dem Spiel.
Das Europaparlament hat am Dienstag knapp einen Vorschlag der Europäischen Kommission zur Stabilisierung des Emissionshandels abgelehnt. Mit 334 zu 315 Stimmen bei 63 Enthaltungen haben die Parlamentarier den Vorschlag von EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard abgelehnt, zumindest einmal 900 Millionen Kohlendioxid-Zertifikate vorläufig vom Markt zu nehmen und womöglich zu einem späteren Zeitpunkt zu versteigern – oder sie auch ganz aus dem System zu nehmen. Das Parlament verwies das sogenannte Backloading zurück in die Ausschüsse. Dort hatte der Industrieausschuss knapp gegen den Vorschlag und der Umweltausschuss deutlich für den Reparaturversuch für den Emissionshandel gestimmt.
Matthias Groote (SPD), Berichterstatter des Umweltausschusses im Europaparlament zum Emissionshandel, sagte nach der Abstimmung tief enttäuscht: „Die Renationalisierung der Klimapolitik wurde heute eingeleitet.“ Dagegen freute sich der polnische Umweltminister Marcin Korolec, der seit Monaten gegen den Emissionshandel und den Kommissionsplan Stimmung macht. Nach dieser „vernünftigen Abstimmung“ könne sich Europa auf die Diskussion über eine „Vision für 2030“ konzentrieren, also „Dinge, die wichtig sind“, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter direkt nach der Abstimmung. Korolec argumentiert, dass es sich beim Emissionshandel nicht um eine Erhöhung der Erträge gehen dürfe. Der deutsche Industrieverband BDI hatte das „Backloading“ nach allen Regeln der Lobbykunst bekämpft, weil es sich um eine System handele, „das funktioniert wie geplant“. Weil vom Emissionshandel schon seit Monaten kein Klimaschutzsignal mehr ausgeht, ist der Kohlendioxid-Ausstoß in Deutschland im vergangenen Jahr erstmals wieder deutlich gestiegen. Weil CO2-Zertifikate kaum noch etwas kosten, lohnt sich der Betrieb von Kohlekraftwerken wieder. Die grüne Fraktionsvize im Bundestag, Bärbel Höhn erwartet nun, „dass die alten Kohlekraftwerke weiter auf Hochtouren laufen“.
Der Preis sank nach dem Parlamentsbeschluss auf 2,60 Euro pro Tonne, nachdem er vor der Abstimmung in Erwartung einer Zustimmung leicht auf 4,67 Euro gestiegen war. Bei der Einführung des Systems 2005 hatten die Experten einmal mit einem Preis von 30 Euro pro Tonne gerechnet. Der Emissionshandelsexperte des Öko-Instituts, Felix Matthes, hat ausgerechnet, dass rund zwei Milliarden CO2-Zertifikate zu viel auf dem Markt sind. Ebenfalls am Dienstag entschied das Europaparlament, die umstrittene Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel für ein Jahr auszusetzen, mit dem Ergebnis, „dass weitere 450 Millionen überschüssige CO2-Zertifikate dazukommen“, sagt Matthes.
Es gibt mehrere Gründe für das Überangebot. Zum einen sind von Anfang an wegen des erfolgreichen Lobbydrucks der Industrie mehr Zertifikate ausgegeben worden, als diese überhaupt verbrauchen konnte. Und dann kam auch noch die Wirtschaftskrise seit 2008 dazu. In der Krise haben beispielsweise Stahlkonzerne große Mengen Zertifikate auf den Markt gebracht, die sie nicht brauchten, und die gleichzeitig die krisengebeutelten Bilanzen etwas schönten. Selbst dieses „Geschäft“ dürfte beim aktuellen Preis für eine Tonne Kohlendioxid nicht mehr attraktiv sein. Felix Matthes sieht angesichts der Krise des europäischen Emissionshandels nun auch große Probleme bei der aktuell diskutierten Verknüpfung des Systems mit den neu gebildeten Handelssystemen in Australien, China und einigen Bundesstaaten der USA. Diese „moderneren Emissionshandelssysteme“ hätten im Gegensatz zum europäischen einen „Reparaturmechanismus für sich ändernde Rahmenbedingungen eingebaut“. Dort würden in einer vergleichbaren Krise ganz automatisch Zertifikate vom Markt genommen.
Der SPD-Klimapolitiker im Bundestag, Frank Schwabe sagte am Dienstag: „Mit dem Beschluss des Europaparlaments ist der europäische Emissionshandel politisch tot.“ Der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, twitterte, dies ein ein „schwarzer Dienstag für den Klimaschutz“. Die Klimaexpertin der Umweltstiftung WWF, Regine Günther, wies darauf hin, dass das Europaparlament selbst die Kommission aufgefordert hatte, einen Vorschlag zur Stabilisierung des Emissionshandelssystems zu machen. „Mit der Ablehnung dieses Minimalvorschlags demontiert sich das Parlament selbst“, sagte sie. Ihrer Einschätzung nach „wird Europa international an Gewicht verlieren“. Sie warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, Deutschland in dieser Frage nicht positioniert zu haben. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) hatte mit fünf weiteren europäischen Ministern noch Ende vergangener Woche an die Parlamentarier geschrieben und sie zur „Rettung des einzigen europäischen Klimaschutzinstruments“ aufgefordert. Am Dienstag sagte er enttäuscht: "Das war heute kein guter Tag für den Klimaschutz.“ Dagegen vertritt Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die BDI-Position. Er sagte nach der Abstimmung: "Eine Verknappung würde unsere Industrie zusätzlich belasten und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der gesamten EU schaden.“ Das Ergebnis des Ministerstreits war schon seit Wochen, dass Deutschland auf europäischer Ebene keine Rolle mehr spielte.
Der Klimaökonom vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Vorsitzende der Arbeitsgruppe 3 (Handlungsoptionen) des Weltklimarats (IPCC), Ottmar Edenhofer, ist zwar ein glühender Anhänger des Emissionshandels. Doch eine "künstliche" Verknappung von CO2-Zertifikaten findet er falsch. Er sagte am Dienstag: "Die Tatsache, dass der Vorschlag des „backloading“ abgelehnt wurde, macht es umso wichtiger, jetzt glaubwürdige Ziele für 2030 zu setzen. Wichtig sind langfristige Minderungsziele, nicht kurzatmige Interventionen."
Der grüne Klimapolitiker im Bundestag, Hermann Ott, wies darauf hin, dass die Finanzierung der deutschen Energiewende unmittelbar mit dem Emissionshandel verknüpft ist. Die Einnahmen aus den Auktionen sollten den dafür vorgesehenen Energie- und Klimafonds füllen, der aktuell nahezu leer ist. Damit sollten beispielsweise Investitionsprogramme in eine höhere Energieeffizienz finanziert werden. Ott sagte: „Wenn die EU-Klimapolitik scheitert, wird auch die deutsche Energiewende nicht erfolgreich sein.“
Der Emissionshandel soll Klimaschutzinvestitionen da anregen, wo sie am billigsten sind. Das System wurde 2005 in der EU eingeführt, um die Nutzung der Atmosphäre als Müllkippe für Kohlendioxid (CO2) mit einem Preis zu versehen. Dazu wird eine Obergrenze für den CO2-Ausstoß festgelegt. Die Industrie bekommt CO2-Zertifikate kostenlos zugeteilt. Die Zuteilung sinkt jährlich. Wer mehr Zertifikate braucht, muss sie zukaufen, wer Überschüsse hat, kann sie verkaufen. Erst seit diesem Jahr muss die Energiewirtschaft im Gegensatz dazu die Zertifikate, die sie für den Betrieb ihrer Kohlekraftwerke braucht, ersteigern. Da die Preise ins Bodenlose gefallen sind, ist der Betrieb von Kohlekraftwerken derzeit dennoch sehr lukrativ – mit dem Ergebnis steigender CO2-Emissionen und sinkenden Preisen für die Kilowattstunde Strom im Großhandel. Das wiederum führt zu höheren Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien, weil die sogenannte EEG-Umlage sich aus der Differenz des Strompreises an der Börse in Leipzig und dem garantierten Einspeisepreis für den Anlagenbetreiber errechnet. Der CO2-Preis jedenfalls liegt seit Monaten unter fünf Euro pro Tonne CO2.