Brexit: EU-Kommission zeigt sich gerüstet für No-Deal
Alle wollen ihn verhindern - doch ein ungeregelter Brexit zum 31. Oktober steht weiter auf der Tagesordnung.
Gegenwärtig richtet sich im Brexit-Drama die gesamte Aufmerksamkeit darauf, wer die Nachfolge der britischen Regierungschefin Theresa May antritt. Voraussichtlich noch gut sechs Wochen wird es dauern, bis feststeht, wer als Sieger aus dem Auswahlverfahren bei den Konservativen hervorgeht. So lange die Tories die May-Nachfolge unter sich auskegeln, herrscht in Brüssel eine „Brexit-Pause“. Doch danach beginnt die Uhr wieder zu ticken. Am 31. Oktober läuft die gegenwärtige Brexit-Frist ab – und der Halloween-Tag könnte diesmal tatsächlich zur entscheidenden Klippe in den Brexit-Verhandlungen werden.
Johnson will "ernsthafte" Vorbereitungen auf einen No-Deal
Ein ungeregelter Brexit am 31. Oktober ist nämlich nicht auszuschließen, falls sich ein neuer Premierminister oder eine neue Premierministerin auf einen Crash-Kurs mit dem EU-Chefverhandler Michel Barnier begeben sollte. Zu den Favoriten im britischen Nachfolge-Rennen gehört der frühere Außenminister Boris Johnson. Der 54-Jährige sagte am Mittwoch zum offiziellen Auftakt seiner Kampagne für die May-Nachfolge, dass er keinen No-Deal-Brexit anstrebe. Zuvor hat Johnson allerdings auch schon erklärt, dass das Austrittsabkommen nachverhandelt werden müsse.
Zu diesem Zweck hat er die Idee ins Spiel gebracht, dass London der EU die Abschlussrechnung in Höhe von 44 Milliarden Euro einfach schuldig bleibt. Brüssel pocht allerdings auf die Austrittszahlung. Ebenso lehnt die Kommission es ab, den im vergangenen Jahr gemeinsam mit May geschnürten Austrittsvertrag noch einmal aufzuschnüren. In dieser Situation drohte Johnson am Mittwoch schon einmal vorsorglich damit, er werde Großbritannien „energisch und ernsthaft“ auf ein mögliches No-Deal-Szenario im Oktober vorbereiten.
Für diesen Fall zeigt sich die EU-Kommission bereits seit längerem gerüstet. Die Brüsseler Behörde erklärte am Mittwoch, dass ein Ausstieg der Briten ohne Abkommen „ein durchaus möglicher, wenn auch nicht erstrebenswerter Ausgang“ sei. Gleichzeitig erinnerte die Kommission daran, dass es „in der Verantwortung aller Interessenträger“ – gemeint ist vor allem die Wirtschaft – liege, „sich auf sämtliche Szenarien vorzubereiten“.
Der zunächst für den 29. März vorgesehene Austritt der Briten wurde auf den 12. April und dann auf den 31. Oktober verschoben. Die EU-Kommission forderte die Unternehmen auf, die Fristverlängerung zu nutzen, um sich auf den Brexit vorzubereiten. Unterm Strich zeigte sich die Kommission mit den Notfallplanungen der Wirtschaft für einen ungeregelten Brexit zufrieden. Im Bereich der Finanzdienstleistungen gebe es allerdings „noch einige offene Fragen“. Versicherungsunternehmen und Zahlungsdienstleister seien in einigen Punkten „noch nicht gut vorbereitet“, hieß es. Als Beispiel nannte die EU-Kommission das Vertragsmanagement.
FDP-Europaabgeordnete Beer befürwortet Exit vom Brexit
Die FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer, die bei der Europawahl Ende Mai ins Europaparlament gewählt worden war, hält die Vorbereitungen auf einen ungeregelten Brexit für richtig. „Entscheidungen im Vereinigten Königreich sollten jetzt schnell getroffen werden, um endlich Klarheit zu bekommen“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Wir werben jedoch weiterhin für einen Exit vom Brexit“, fügte sie hinzu.
DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben: Unsicherheit belastet Geschäfte
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, beklagte indes, dass den Unternehmen drei Jahre nach dem Brexit-Referendum weiterhin ein klarer Kompass fehle. „Die Unsicherheit über die zukünftigen Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich – immerhin unser fünftwichtigster Exportpartner – belastet die Geschäfte spürbar“, sagte Wansleben dem Tagesspiegel. Dies belege die jüngste DIHK-Umfrage, nach der nur noch jedes fünfte Unternehmen mit Beziehungen zu Großbritannien seine Geschäfte als gut bezeichnet. „70 Prozent der Betriebe erwarten dagegen für 2019 eine Verschlechterung der bilateralen Geschäfte – drei Mal so viele wie im Vorjahr“, sagte er.
Deutsche Exporte auf die Insel gingen zurück
Wansleben wies zudem darauf hin, dass die deutschen Exporte nach Großbritannien zuletzt bereits deutlich zurückgegangen sind. Mittlerweile plane jedes achte Unternehmen, Investitionen von Großbritannien in andere EU-Staaten zu verlagern. „Ein harter Brexit ist nicht vom Tisch – die Unternehmen rechnen nach wie vor mit allem“, sagte er. Die deutsche Wirtschaft brauche endlich klare Entscheidungen aus Westminster, „denn das ständige Hin und Her auf britischer Seite schadet den Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals“.
Der DIHK-Hauptgeschäftsführer hält derweil ein Aufschnüren des EU-Austrittsvertrages nicht für möglich. „Trotz der Zitterpartie um den Brexit ist deutschen Unternehmen eine klare und geschlossene Haltung der 27 EU-Staaten wichtiger als weitere Zugeständnisse an die ausstiegswilligen Briten“, sagte er. Nach dem aktuellen DIHK-Unternehmensbarometer gäben 85 Prozent der Betriebe in Deutschland an, dass der Zusammenhalt der EU und der EU-Binnenmarkt durch den Brexit-Deal nicht gefährdet werden dürften, „selbst wenn der eigene Handel mit dem Vereinigten Königreich Schaden nimmt“.