Guttenberg-Berufung: EU-Kommissarin suchte "nach Talent, nicht nach Heiligen"
EU-Kommissarin Kroes, zuständig für Digitales, hat einen neuen Berater für Internetfreiheit. Guttenberg gibt den seriösen Staatsmann und lässt sich auch durch hämische Fragen nicht aus der Fassung bringen.
Es ist ein wohlkalkulierter Coup. Und EU-Kommissarin Neelie Kroes gibt sich kaum Mühe, das zu verschleiern. „Es ist schön zu sehen“, sagt ihr Sprecher, als Kroes und ihr prominenter Gast den Pressesaal betreten, „dass sich so viele für die Freiheit des Internet interessieren“. Da das offensichtlich nicht so ist, huscht der Niederländerin ein Lächeln über das Gesicht, und Karl-Theodor zu Guttenberg tut es ihr nach. Die Kameras sind nur wegen ihm da – und alle wissen es.
Auf dem Podium stehen zwei, die öffentliche Aufmerksamkeit brauchen wie die Luft zum Atmen. Die EU-Initiative, mit der Oppositionsgruppen in Diktaturen geholfen werden soll, staatliche Internetsperren zu umgehen, gerät dabei zur bloßen Kulisse zweier Selbstdarsteller: Sie, als mächtige Wettbewerbskommissarin einst eine feste Brüsseler Größe, mit der nebulösen Zuständigkeit für die „digitale Agenda“ aber fast in der Versenkung verschwunden, hat gerade ihren langjährigen Pressesprecher gefeuert, um mit neuem Personal trotz Eurokrise wieder in die Medien zu kommen. Er, wegen des erschummelten Doktortitels unehrenhaft aus der deutschen Politik verabschiedet, hat sich nach mehrmonatiger Schamfrist mit einem Auftritt in Kanada, einem Zeitungsinterview in einer Londoner Hotelsuite und dem daraus entstandenen Buch mit dem vielsagenden Titel „Vorerst gescheitert“ wieder zurückgemeldet.
Nun also Guttenbergs erster öffentlicher Auftritt in Europa. Die EU-Kommissarin, die Guttenberg schon vor dem Sommer auf eine Zusammenarbeit angesprochen haben will, geht locker über die Frage hinweg, ob sich die so auf Seriosität bedachte Brüsseler Behörde mit dieser Personalie einen Gefallen tut: „Ich will keine Heiligen, sondern Talente.“ Ihr Boss José Manuel Barroso zumindest ist seiner Sprecherin zufolge nicht vorab informiert gewesen.
Die Guttenberg-Mischung aus Demut und Hochmut
Der Freiherr aus dem Fränkischen gibt als frisch engagierter Berater der EU-Kommission die ihm eigene Mischung aus Demut und Hochmut zum Besten. Er sei, sagt Guttenberg in Anspielung auf die Enthüllungen der Netzplattform GuttenPlag, die ihn das Amt des Verteidigungsministers kosteten, „persönlich der Macht des Internet ausgesetzt gewesen und schätze dessen Möglichkeiten, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen“. Aber es gibt da auch die „weit verzweigten Kontakte“ und „die besonderen Erfahrungen, die ich gesammelt habe“. Sein Netzwerk will er nun nutzen, um Politik und Wirtschaft davon zu überzeugen, keine Software mehr in autoritär regierte Staaten zu exportieren, um die Netze zu kontrollieren. Stattdessen sollen Dissidenten Programme bekommen, um Onlinesperren zu umgehen. Honorar erhält der Baron keines, aber die Reisekosten aus den Staaten werden ihm erstattet.
So vage Guttenbergs Auftrag ist, er zielt doch mitten hinein ins außenpolitische Zentrum. Die Opposition in anderen Ländern offensiv zu unterstützen, das ist eigentlich Geheimdienstsache und selten etwas, das öffentlich angekündigt wird. Auf die Reaktion bestimmter Regime darf man gespannt sein, auch darauf, was Europas Außenminister davon halten.
Es ist eine seltsame Veranstaltung. Guttenberg, tadellos gekleidet wie immer, gibt den seriösen Staatsmann, lässt sich auch durch hämische Fragen nicht aus der Fassung bringen: „Internetfreiheit – bedeutet das für Sie ,Copy & Paste’ für alle?“ Ohne eine Miene zu verziehen, antwortet das CSU-Mitglied, er habe auf diesem Gebiet „einige Erfahrungen“, und es gebe auch „Grenzen der Internetfreiheit, solange diese sich in einem demokratischen Rahmen bewegen“. Damit meint er offenbar, dass das Internet nicht völlig frei sein dürfe, aber diese Beschränkungen demokratisch legitimiert werden müssten.
Guttenberg redet bis auf eine kurze Schlussbemerkung nur Englisch. Allein das soll Distanz zur deutschen Politik signalisieren. Ob das die Diskussionen über eine Rückkehr auf die Berliner Bühne beendet? Zumindest in diesem Punkt gibt sich der Ex-Minister eindeutig: „Sie sehen mich nicht in Deutschland“, lautet die Antwort. „Das ist kein politisches Comeback.“ Seine neue Heimat sei Amerika, gerade hätten er und seine Familie den Umzug hinter sich.
Christopher Ziedler