Einwanderung: EU-Generalanwalt: Hartz IV für Migranten ist möglich
Deutschland darf Sozialleistungen für Einwanderer ausschließen, aber nicht in allen Fällen, fordert ein Gutachten für den Europäischen Gerichtshof. Sollte das Urteil diese Auffassung bestätigen, müssten die Gesetze wohl nachgebessert werden.
EU-Bürger, die zur Arbeitssuche nach Deutschland gehen, sollen unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen geltend machen können. Dies schlägt der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in einem Gutachten für einen Rechtsstreit vor, den das Bundessozialgericht in Kassel dem EuGH vorgelegt hat. Zwar hatte der Luxemburger Gerichtshof im November entschieden, dass EU-Mitgliedstaaten Zuzügler von Sozialleistungen ausschließen dürfen. Dies galt jedoch bisher nur für Fälle, in denen die Betreffenden nicht auf Arbeitssuche waren.
Konkreter Fall aus Berlin
Die Empfehlung des EuGH-Generalanwalts Melchior Wathelet könnte nun erneut Diskussionen über die umstrittene Frage auslösen, wann EU-Ausländern Sozialleistungen zu gewähren sind. Wathelet hält den Ausschluss auch bei Arbeitssuchenden für möglich, allerdings müsse es eine „individuelle Prüfung“ geben, wenn sie bereits zuvor eine Beschäftigung ausgeübt hätten. Das Gutachten bindet das Gericht nicht, in vielen Fällen folgen die Richter ihm aber.
Dem Rechtsstreit liegt ein Fall aus Berlin zugrunde. Geklagt hatte eine bosnische Frau mit schwedischer Staatsbürgerschaft. Ihre drei Kinder hat sie in Deutschland geboren. Nach einer Zeit im Ausland reiste die Familie 2010 erneut nach Deutschland ein. Die Klägerin und ihre älteste Tochter arbeiteten zeitweise, später jedoch nicht mehr. Das Jobcenter Neukölln verweigerte Hartz-IV-Zahlungen mit Hinweis auf das Sozialgesetzbuch II, demzufolge es Zahlungen an Ausländer verweigern darf, „deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt“.
Generalanwalt will Antragsteller stärken
Der EuGH entscheidet anhand der „Unionsbürgerrichtlinie“. Diese legt fest, dass ein EU-Bürger in anderen Mitgliedstaaten gegenüber der dortigen Bevölkerung nicht diskriminiert werden darf, enthält aber bei Leistungen der Sozialhilfe eine Ausnahme. Ein Mitgliedstaat ist demnach nicht verpflichtet, während der ersten drei Monate des Aufenthalts Sozialhilfe zu gewährleisten. Bei EU-Bürgern, die nur zur Arbeitsuche einreisen, kann das auch für länger gelten. Damit soll Sozialmissbrauch vorgebeugt werden.
Der Generalanwalt votiert dafür, die Rechte der Antragsteller zu stärken. Sollte ein Unionsbürger bereits im Aufnahmestaat länger gelebt und gearbeitet haben, dürften Sozialleistungen nicht automatisch verweigert werden. Hinzu komme, dass der Klägerin ohnehin ein Aufenthaltsrecht zustehen könne, wenn ihre Kinder in Deutschland zur Schule gehen. Dann würde sich ihr Aufenthaltsrecht nicht „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche“ergeben, wie es das deutsche Gesetz für den Leistungsausschluss vorschreibt.
Bundesregierung will prüfen
Ob das Gesetz geändert werden muss, bleibt damit weiterhin offen. Die Bundesregierung sieht sich von der Stellungnahme „in wesentlichen Punkten bestätigt“. Wenn das Urteil entsprechend ausfalle, werde man es aber „sorgfältig prüfen“.
Die Diskussion über EU-Ausländer, die angeblich auf Kosten des Sozialstaats lebten, hatte vor allem die CSU geprägt. Sie trat bei den Europawahlen 2014 mit dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ an und verlangte ein strikteres Vorgehen. Nach einer Studie der EU-Kommission liegt der Anteil der EU-Ausländer, die in Deutschland Sozialhilfe in Anspruch nehmen, allerdings bei unter fünf Prozent. Und auch arbeitslose EU-Einwanderer lebten zu 80 Prozent in einem Haushalt, in dem zumindest ein Familienmitglied arbeitet.