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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron im April in Berlin.
© Kay Nietfeld/dpa

Ein Jahr nach Macrons Wahl: "Es wird kein Budget für die Euro-Zone geben"

Kurz nach dem Jahrestag der Wahl von Macron zum französischen Präsidenten wird der Staatschef in Aachen Kanzlerin Merkel treffen. Claire Demesmay, die das Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik leitet, glaubt nicht an einen großen Wurf für die Euro-Zone.

Frau Demesmay, am kommenden Donnerstag erhält Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der am 7. Mai 2017 zum Staatschef gewählt wurde, für seine Verdienste um Europa in Aachen den Karlspreis. Ist die Auszeichnung gerechtfertigt?

Macron ist der erste französische Politiker seit vielen Jahren, der positiv über Europa spricht. Er sieht die EU als Lösung und nicht als Problem. Allein dieses Novum rechtfertigt die Auszeichnung mit dem Karlspreis.

Am Donnerstag will Macron in Aachen auch Angela Merkel treffen. Wie wird die Kanzlerin in Frankreich wahrgenommen?

Für einen Teil der Franzosen verkörpert Angela Merkel nach wie vor einen ungeliebten Sparkurs und eine Blockadehaltung gegenüber notwendigen Schritten zur europäischen Integration. Der andere Teil der französischen Öffentlichkeit sieht in ihr eher die Vertreterin eines erfolgreichen und beneidenswerten Deutschlands. Alle sind sich aber einig: Ohne sie ist in Europa nichts möglich.

Zuletzt zeichnete sich die Kanzlerin allerdings vor allem durch eine Hinhaltetaktik gegenüber Macrons Reformwünschen beim Umbau der Euro-Zone aus.

Man kann das unter anderem auf die Präsenz der AfD im Bundestag zurückführen. Grundsätzlich ist es aber nicht neu, dass die Bundesregierung zögert, wenn es um weitere Integrationsschritte in der Euro-Zone geht. Das hat zwei tiefere Ursachen: die wirtschaftspolitische Tradition in Deutschland und die gute ökonomische Lage.

Aber sollte die Bundesregierung gerade wegen der guten wirtschaftlichen Lage nicht mehr mehr Mut beweisen und Macron beispielsweise in seiner Forderung entgegenkommen, ein eigenes Budget für die Euro-Zone einzurichten?

Die Bundesregierung vertritt genau die entgegengesetzte Logik: Die gute wirtschaftliche Situation wird als Bestätigung dafür gesehen, dass Reformen und die Politik der schwarzen Null zum Ziel führen. Das hat zur Folge, dass man genau diesen Kurs auch von anderen europäischen Partnern erwartet. Macrons Vorschläge werden in Berlin sogar als Gefahr wahrgenommen, weil sie den Reformdruck für andere Länder in der Euro-Zone verringern würden. Dabei wird zu wenig versucht, sich in die Logik Anderer hineinzuversetzen und weiterzudenken.

Also kann Macron beim EU-Gipfel im Juni keinen seiner großen Reformpläne für die Euro-Zone verwirklichen?

Die Positionen in Berlin und Paris sind derzeit so unterschiedlich, dass es sehr schwierig sein wird, einen großen Reformschritt in der Euro-Zone zu machen. Es wird kein Budget für die Euro-Zone geben. Das ist eine rote Linie für die Bundesregierung. Andererseits haben sich Merkel und Macron so weit aus dem Fenster gelehnt, als sie ihre gute Zusammenarbeit bekräftigten, dass sie zum Kompromiss gezwungen sind. Ein solcher Kompromiss könnte darin bestehen, dass im Gesamtbudget für die EU ein vergleichsweise kleiner Posten für Investitionen in der Euro-Zone vorgesehen wird. Aber es entspricht eben nicht Macrons großem europäischen Traum.

Französische Regierungspolitiker betonen gerne, dass man keine Zeit bei einem grundlegenden Umbau der EU verlieren dürfe, weil die Gemeinschaft grundsätzlich nicht funktionstüchtig sei. Wird diese Einschätzung von Macrons Landsleuten geteilt?

Viele Franzosen haben grundsätzlich das Gefühl, dass die EU nicht so funktioniert, wie sie funktionieren sollte. Aber es gibt keinen Konsens darüber, wie man diesem Zustand Abhilfe schaffen soll. Macron wurde mit einem pro-europäischen Programm gewählt, das viele Franzosen nicht teilen. Doch in einem Punkt können die allermeisten Franzosen ihm durchaus folgen: Er will dafür sorgen, dass die EU nicht mehr als Bedrohung empfunden wird, sondern als ein Bollwerk inmitten der Globalisierung. Das betrifft zahlreiche Bereiche: Das Soziale, aber auch die Migration, den Terrorismus, den Schutz der EU-Außengrenzen.

Welche Bedeutung kommt den Bürgerdialogen zur EU zu, die Macron in seinem Land begonnen hat? Betreibt er damit vor allem Öffentlichkeitsarbeit oder besteht tatsächlich eine Chance, dass die Ergebnisse der Bürgerbefragungen sich irgendwann in praktischer Politik niederschlagen?

Über lange Zeit hinweg ist in Deutschland nicht wahrgenommen worden, dass die Bürgerdialoge bei Macrons europapolitischer Strategie eine zentrale Rolle spielen. Er hat erkannt, dass die in Frankreich weiter bestehende Ablehnung der EU auch damit zusammenhängt, dass die Europäische Union als undemokratisch wahrgenommen wird. Dies will er mit den Bürgerdialogen ändern. Macron setzt darauf, dass seine Forderungen – beispielsweise einer gemeinsamen europäischen Grenzsicherung – eine ganz andere Legitimität erhalten, wenn sie auch an der Basis von den Bürgern vorgebracht werden. Damit verfolgt Macron eine Methode, die sich von der klassischen Regierungszusammenarbeit auf EU-Ebene deutlich unterscheidet.

Hat sich die Einstellung der Franzosen zu Europa verändert, seit Macron vor einem Jahr ins Präsidentenamt gekommen ist?

Das ist schwer zu sagen, weil das Thema der EU nicht mehr so im Mittelpunkt steht wie noch vor einem Jahr. Wenn am kommenden Sonntag in Frankreich Präsidentschaftswahlen stattfinden würden, würde Macrons Gegenkandidatin von 2017, Marine Le Pen, ein ganz passables Ergebnis erhalten. Ich habe den Eindruck, dass die Spaltung zwischen den lauter gewordenen Pro-Europäern und den EU-Gegnern in Frankreich weiter besteht. Die Kluft zwischen den weltoffenen Großstädten und dem Frankreich der Peripherie ist nach wie vor unübersehbar.

Wie gefährlich kann Macron die Diskussion über den künftigen EU-Haushaltsrahmen werden? Die EU-Kommission sieht für die nächste Etatperiode ab 2021 Kürzungen im Agraretat vor, was vor allem für die Bauern in Frankreich zu Einbußen führen wird.

Für Macron ist das eine heikle Angelegenheit. Er wird die Kürzungen der EU-Agrarsubventionen in seiner Heimat nur dann verkaufen können, wenn er sich mit seinen Ideen in anderen Bereichen durchsetzt. Denkbar ist beispielsweise, dass die EU-Zusammenarbeit bei der Verteidigungspolitik ausgebaut wird, wie er es vorgeschlagen hat.<NO1>

Für Macron ist die Europapolitik nicht zuletzt deshalb wichtig, weil ihm bei der Europawahl in einem Jahr sein erster großer innenpolitischer Test seit der Parlamentswahl vom Juni 2017 bevorsteht. Aber ist die EU-Politik dabei wirklich so maßgeblich - oder entscheidet sich Macrons Schicksal doch eher an seinen innenpolitischen Reformen?

Natürlich ist es für die Bevölkerung vor allem entscheidend, ob die Arbeitslosigkeit sinkt und sich die Kaufkraft verbessert. Aber ich würde beispielsweise nicht die Veränderung der EU-Entsenderichtlinie unterschätzen, die der Präsident durchgesetzt hat. Damit hat Macron bewiesen, dass es auf EU-Ebene möglich ist, dem Sozialdumping einen Riegel vorzuschieben.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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