Anti-Rassismus-Demo in Berlin: „Es war das ideale Super-Spreading-Event“
Politik und Polizei sehen eine verheerende Wirkung der Groß-Demos für die Akzeptanz der Corona-Auflagen. SPD-Politiker Lauterbach fordert Demos ohne Sprechchöre.
Karl Lauterbach hätte am liebsten eine lautlose Demo. "Solche Demonstrationen sind ein Sargnagel für die bestehenden Regeln, die wir noch haben", fürchtet der SPD-Gesundheitsexperte angesichts der Bilder vom Wochenende, wo rund 15.000 Menschen auf und am Alexanderplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert haben.
Durch die lauten Sprechchöre ("Black Lives Matter"-"Schwarze Leben zählen") seien große Mengen an Aerosolen auf engem Raum verteilt worden. "Für den Kampf gegen das Virus wäre es besser, nur mit Plakaten und Bannern zu demonstrieren."
Ein Super-Spreading-Event?
Lauterbach fürchtet, dass durch solche Veranstaltungen und die Wirkung der Bilder auf den Rest der Bevölkerung die Erfolge des "sehr effektiven Lockdowns" in der Corona-Krise aufs Spiel gesetzt werden.
"Viel zu viele Leute, zu wenige Masken, zu wenig Abstand - das ideale Super-Spreading-Event", meint der streitbare Abgeordnete, der unter anderem in Harvard Epidemiologie studiert hat und die jüngsten Entwicklungen mit Sorge verfolgt.
Wenngleich er einräumen muss, dass die Covid-19-Infektionszahlen so stark gesunken sind, dass es nicht ausgemacht ist, dass so eine Massenveranstaltung zwangsläufig ein Herd größerer neuer Virus-Ausbrüche sein muss.
[Mehr zum Thema: In Demos am Alex: Covid-19-Zeiten müssen wir Rassismus anders bekämpfen - ein Kommentar]
Auch aus Sicht von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind solche Bilder absolut kontraproduktiv. Gerade mit Blick auf die große Disziplin bei weiten Teilen der Bevölkerung stellt sich für manchen Abgeordneten im Bundestag die Frage, wie sich so noch Einschränkungen im Schul- und Kitabetrieb oder eine Maskenpflicht in Geschäften und Gastronomie verteidigen lässt. Schon wächst der Druck, auch bald wieder Fußball-Bundesligaspiele mit Zuschauern zuzulassen.
Nur zur Erinnerung: Laut der letzten Bund/Länder-Vereinbarung sind die Kontaktbeschränkungen bis 29. Juni verlängert worden, ebenso die Hygiene- und Abstandsregeln. Die Länder können den Aufenthalt im öffentlichen Raum von bis zu zehn Personen oder den Angehörigen von zwei Hausständen gestatten. Großveranstaltungen bleiben bis Ende August komplett verboten. Diese Regeln stehen häufig aber nur noch auf dem Papier.
Kontaktbeschränkungen oft nur noch auf dem Papier
Es war von Anfang klar, dass Infektionsschutz und Demonstrationsrecht sich besonders schwer miteinander vereinbaren lassen, Berlin wurde mit einer aus dem Ruder gelaufenen Schlauchbootdemo der Clubszene und nun mit der "Black-Life-Matters"-Demo zum Synonym dafür.
"Das Signal ist, wir haben das Virus bekämpft und besiegt", sagt Lauterbach. "Doch dieses Signal ist falsch. Das Virus wird mit voller Wucht zurückkommen, wenn wir so weitermachen."
Er betont, auch an der frischen Luft sei ein größerer Ausbruch möglich, nicht nur in geschlossenen Räumen. Er erinnert zum Beispiel an das Champions-League-Spiel von Atalanta Bergamo gegen Valencia (4:1), das in Italien als ein Ereignis gilt, das den dramatischen Virusausbruch beschleunigt haben könnte.
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Nun ist man sich selbst im Gesundheitsministerium uneins, ob wirklich die Gefahr einer zweiten Welle droht - aber wenn sie kommen würde, dürfte der Preis der jetzigen Lockerungseuphorie ein hoher sein.
Die Proteste nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA stellen die Politik vor einen schwierigen Spagat. So lobt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer die Anti-Rassismus-Demonstrationen und fordert zugleich zum Einhalten der Corona-Regeln auf.
Angst vor der zweiten Welle
Wer seine Bürgerpflichten ernst nehme, müsse bei solchen Demonstrationen auch eine Maske tragen und auf Abstand achten. Regierungssprecher Steffen Seibert kritisiert im Namen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass bei vielen Demonstranten nichts von der Einhaltung der Schutzmaßnahmen zu sehen gewesen sei. "Und damit haben die für sich und andere ein großes Risiko herbeigeführt."
Er verweist auch auf die jüngsten Ausbrüche bei Gottesdiensten und Familienfeiern. Auch der SPD-Vizechef Kevin Kühnert mahnt bei RTL/ntv zum Corona-konformen Demonstrieren. Sonst bekämen jene Aufwind, denen Demonstrationen gegen Rassismus ohnehin ein Dorn im Auge seien.
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Die Polizei ist sauer
So wird gemahnt, gefordert - aber die Leidtragenden der kaum noch respektierten Auflagen sind die Polizisten. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, war selbst dabei auf dem Alexanderplatz. "Tatsache ist, dass die Abstandsregeln nur von wenigen Teilnehmenden und von den Einsatzkräften der Polizei eingehalten wurden. Vieltausendfach wurde dagegen verstoßen", kritisiert er.
"Die Polizei befindet sich mitten im Spanungsfeld von Versammlungsfreiheit als elementarem Grundrecht und dem notwendigen Infektionsschutz der Bevölkerung." Beides gleichzeitig sei nicht zu haben, denn ein einsichtiges Verhalten der Demonstranten sei nicht erkennbar. "Mit polizeilichen Mitteln ist eine Abstandsregel bei einer Versammlung von vielen Tausend Menschen schlicht nicht durchsetzbar."
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Bei Krawallen seien die Beamten nun auch noch hohen Infektionsgefahren ausgesetzt, weil manche Menschen das Anliegen ihrer Demonstration als wichtiger einschätzen als den Infektionsschutz. "Das ist verantwortungslos, gefährlich und auch dumm." Gerade die Polizei Berlin brauche mehr Wertschätzung durch die Politik, "dazu zählt natürlich auch Geld". Wendt nutzt das Ganze , um eine Hauptstadt-Zulage für alle Polizisten zu fordern.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Dietmar Schilff, fordert als ersten, pragmatischen Schritt, die Teilnehmerzahlen der Veranstalter im Vorfeld mehr zu hinterfragen. Aber auch er beobachtet: Die Akzeptanz der Bürger für die Corona-Regeln nehme gerade bei solchen politischen Bekundungen ab und erschwere dadurch erheblich die Arbeit der Polizisten.