Geld für strukturschwache Regionen: Es soll keiner sagen können, die eigene Ecke sei abgehängt
Die Bundesregierung will gleichwertige Verhältnisse in Deutschland sichern. Was das Kabinett an diesem Mittwoch beschließen wird – ein Überblick.
Was Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland ist oder sein soll, darüber streiten die Gelehrten schon viele Jahrzehnte. Klar ist nur eines: Es geht bei diesem Begriff, politisch immer schon umstritten, hier nicht in erster Linie um die privaten Einkommen, sondern darum, was der Staat seinen Bürgern bieten kann.
Also um Infrastruktur und das, was man öffentliche Daseinsvorsorge nennt: Straßen, Kindergärten, Krankenhäuser, Nahverkehr und vieles mehr. Wirtschaftsförderung für Unternehmen kommt hinzu. Regional ist das in erster Linie Sache der Länder, lokal der Kommunen.
Der Bund kommt ins Spiel, wenn es zusätzlich große Ungleichheiten gesamtdeutsch auszugleichen gilt. Und an diesem Mittwoch bringt sich die Bundesregierung ins Spiel.
Wie groß sind die regionalen Ungleichheiten in Deutschland?
Eine Antwort auf diese Frage hat unlängst eine Studie des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert- Stiftung gegeben. Demnach ist Deutschland im Großen und Ganzen „weiterhin ein Land mit einer breiten Mitte, für die solide, durchschnittliche Lebensverhältnisse dominieren“, sagte der Leiter der Studie, Stefan Fina, bei der Vorstellung Anfang Mai.
In diesen klein- und mittelstädtisch geprägten Regionen im Süden und Westen leben 31 Millionen Menschen. Allerdings würden in den wachsenden Großstädten die steigenden Lebenshaltungskosten für breite Teile der Gesellschaft zum Problem – vor allem bei den Mieten und den Kaufkosten wegen Wohnraummangel. Dadurch steigen „die Gefahren von sozialer Ausgrenzung, Armut und Verdrängung“. Das Problem verlagert sich dann in die Umlandbereiche.
Dazu gibt es Regionen, die im „andauernden Strukturwandel verharren“ – vor allem im Osten, im Ruhrgebiet, an der Saar. Doch betont die Studie auch, dass gerade in Sachsen und Thüringen Städte durch erfolgreiche Strukturpolitik wieder als „regionale Stabilitätsanker“ dienen.
Auf regionale Unterschiede machte am Dienstag auch der neue „Kommunale Finanzreport“ der Bertelsmann-Stiftung aufmerksam. Zwar haben auch die Kommunen in den vergangenen Jahren Etatüberschüsse verzeichnen können, aber eben nicht alle. Wo seit Jahren das Geld knapp ist, seien Haushaltskrisen zwar abgeschwächt, aber nicht gelöst worden. Ein Fazit der Studie: „Qualität öffentlicher Dienstleistungen, Infrastruktur, die Lebenschancen der nachkommenden Generationen fallen regional auseinander.“
Wie geht die Bundesregierung die Probleme an?
Ein Staatsziel im Grundgesetz, Gleichwertigkeit herzustellen, gibt es nicht – und wird es auch künftig nicht geben. Aber dass es Unterschiede in den Lebensverhältnissen gibt, hat die Bundesregierung nun offiziell festgestellt. Und sie will handeln, um die regionalen Disparitäten nicht zu groß werden zu lassen. Es soll keiner sagen können, die eigene Stadt, das eigene Dorf, die eigene Ecke sei abgehängt.
Das Kabinett wird dazu an diesem Mittwoch einen Beschluss fassen, der zurückgeht auf die Arbeit einer Kommission – zusammen mit den Ländern und den Kommunalverbänden hat der Bund seit September versucht, eine Art Gesamtschau zur Gleichwertigkeit in Deutschland zu machen. Aber das Vorhaben uferte aus, die sechs Arbeitsgruppen konnten sich kaum auf gemeinsame Forderungen verständigen.
Die Koalitionsspitzen entschieden schließlich im Mai, erst einmal nur eine Bundessicht der Dinge zur Diskussion zu stellen. Die findet sich nun in einem 43-seitigen Papier mit der Überschrift „Unser Plan für Deutschland“, das Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) als Kommissionsvorsitzender zusammen mit Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) zusammengestellt hat.
Was ist das wichtigste Vorhaben?
Der Kern des großen Plans ist eine Neuorientierung des Fördersystems des Bundes. Das war lange vor allem darauf ausgerichtet, den ostdeutschen Ländern auf die Beine zu helfen – weshalb sie im Solidarpakt II seit 2005 mehr als 150 Milliarden Euro aus dem Bundesetat obendrauf bekamen, also über den Länderfinanzausgleich hinaus, der die annähernde finanzielle Gleichstellung zum Ziel hat. So konnten sie mehr Geld je Einwohner ausgeben als die West-Länder.
Nun soll wieder mehr Bundesgeld auch in andere strukturschwache Regionen fließen, etwa in die Ruhrgebietsstädte, das östliche Bayern, Richtung Nordseeküste, ins Saarland. Aber der Löwenanteil der Fördermittel wird weiterhin in Städte, Kreise und Dörfer zwischen Rügen und Erzgebirge fließen. Zu 90 Prozent, wie der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider sagt.
Das liegt auch daran, dass die Bundesregierung erstmals demografische Faktoren „mit einer spürbar höheren Gewichtung“ in den Katalog der Förderkriterien einbauen wird. Will heißen: Bundesgeld wird dann nicht zuletzt dort hingelenkt, wo die Leute abwandern. Die ländliche Entwicklung soll daher, so der Kabinettsbeschluss, deutlich stärker im Fokus stehen – auch wenn die vom Landkreistag geforderte Grundgesetzänderung, mit der die Bundesförderung sozusagen zur Pflicht geworden wäre, ausbleibt.
Außerhalb der Speckgürtel soll geklotzt werden mit „Investitionen in eine erreichbare Grundversorgung in ländlichen Räumen sowie attraktive und lebendige Ortskerne“. Ausdrücklich genannt wird als Ziel die „Behebung von Gebäudeleerständen“. Begleitet wird das durch eine Bundesstiftung für die Finanzierung von Ehrenamtlichen, die gerade in ausgebluteten Landstrichen einspringen müssen, um diese Grundversorgung zu sichern – und sei es nur der Dorfladen oder das kleine Kulturzentrum. „Kümmererstrukturen“, wie es in den Regierungsdokumenten heißt, sollen so gestärkt werden, gerade im Osten.
Was will der Bund für die hochverschuldeten Kommunen tun?
Ein zweiter Schwerpunkt des Plans für Deutschland steht im Kabinettsbeschluss unter der Überschrift „Faire Lösung für kommunale Altschulden finden“. Was aber auch bedeutet: Gefunden ist diese Lösung noch nicht. Zu erwarten sind hier noch heikle Gespräche mit den Ländern und den Kommunalverbänden. Zwar ist vor allem der Städtetag daran interessiert, dass hohe Kassenkreditbestände über Bundeshilfen reduziert werden. Diese Schulden, eigentlich nur Kurzfristkredite bei Banken, um vorübergehend Löcher im Kommunaletat zu stopfen, sind über die Jahre angewachsen – mittlerweile liegen sie bei mehr als 50 Milliarden Euro.
Allerdings haben die meisten Kommunen gar keine Altschuldenprobleme, nur ein Sechstel ist betroffen. Und diese 2500 Städte und Gemeinden finden sich vor allem in drei Ländern: Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Ohne nennenswerte Kassenkreditlasten stehen dagegen seit jeher Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen da, die schwarz-grüne Regierung in Hessen hat im Vorjahr die überschuldeten Kommunen entlastet und fast fünf Milliarden Euro in die Landesschuld übernommen (in der Karte noch nicht berücksichtigt).
In der Kommission hatte sich das Bundesfinanzministerium noch quergelegt, was Hilfen an die drei Problemländer betrifft – zumal man sich in der Analyse der Ursachen nicht einig wurde. Deren gibt es vor allem zwei: sehr hohe Soziallasten in Städten mit vielen Langzeitarbeitslosen über die Kosten der Unterkunft und eine zu lasche Kommunalaufsicht. Ersteres gilt eher für Nordrhein-Westfalen, letzteres ist ein Vorwurf, der an die Regierung in Mainz gerichtet ist.
Dazu kam immer, dass Geschenke des Bundes häufig nur zeitlich begrenzt gewährt wurden oder mit zu wenig Steuermitteln unterlegt waren, Beispiel Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Dass nun das Gute-Kita-Gesetz von Giffey möglicherweise entfristet wird und der Bund sich auch nach 2022 an der Finanzierung beteiligt.
Das Angebot des Bundes liest sich im Kabinettsbeschluss eher vorsichtig. „Der Bund kann einen Beitrag leisten, wenn es einen nationalen politischen Konsens gibt, den betroffenen Kommunen einmalig gezielt zu helfen“, heißt es dort. Gemeint sind damit Unterstützung bei Zinszahlung und Tilgung. Eine Summe wird nicht genannt.
Die Bedingung wird gleich mitgeliefert: Das Geld fließt nur, „wo andere Hilfe alleine nicht ausreichend ist“. Und es müsse sichergestellt werden, „dass eine neue Verschuldung über Kassenkredite nicht mehr stattfindet“. Das bedeutet, dass die Länder, deren Kommunen teilentschuldet werden, einen erklecklichen Anteil daran übernehmen müssen. Vorbild Hessen also? Das hat das Ressort von Olaf Scholz so auch in den Kommissionsgesprächen vorgeschlagen.
Was schlägt der Bund noch vor?
Gefragt ist der Bund auch beim Ausbau der flächendeckenden Breitband- und Mobilfunkversorgung. Die Defizite hier sind mittlerweile ein gravierender Wettbewerbsnachteil für ländliche Regionen. Beim Mobilfunk soll nun ein „ambitionierte Ausbauplan“ entwickelt werden.
Geprüft werden soll auch die Gründung einer bundeseigenen Infrastrukturgesellschaft zur Bereitstellung von Mobilfunktechnologie überall dort, wo private Anbieter diese nicht gewährleisten können oder wollen. Angekündigt wird auch, dass Investitionshilfen des Bundes für den Gemeinde-Nahverkehr schon ab 2020 steigen könnten. Zusammen mit Ländern und Kommunen sollen Vertaktung und Vernetzung der Mobilitätsangebote verbessert werden.
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