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Die Rumänen protestieren gegen die Lockerung der Gesetze gegen Korruption. Aber der Kampf gegen Bestechung scheint aussichtslos.
© imago/ZUMA Press

Rumänien: Es läuft wie geschmiert

Die Korruption ist in Rumänien allgegenwärtig und schwer zu bekämpfen, weil auch Spitzenpolitiker Teil des kriminellen Systems sind. Ein Erfahrungsbericht

Als ich mit zwölf an einem kalten Tag Fieber hatte und zur Hausärztin musste, erklärte mir meine Mutter, die mich noch begleitete, dass ich jetzt groß genug sei, um den Blumenstrauß und den Umschlag mit dem Bestechungsgeld selber zu überreichen. Damals, kurz nach der Wende, reagierte ich mit einer Mischung aus Unverständnis und Empörung und weigerte mich, den Briefumschlag auch nur anzufassen. Meine Mutter musste ihn überreichen. Heute ist Rumänien in der EU – und die massive Korruption immer noch da.

Alex, einer meiner Schulfreunde, begann als Facharzt für Anästhesie und Notfallmedizin in einer renommierten Bukarester Klinik. Wie an allen rumänischen Krankenhäusern lief auch hier das System Briefumschlag. Als Berufseinsteiger verdiente Alex pro Monat gerade einmal 200 Euro. „Eine Beleidigung, nicht einmal genug für Heizung und Strom“, empört er sich noch heute. Deshalb beteiligte auch er sich am System, allerdings mit klaren Prinzipien. Alex schaute immer erst nach der Behandlung und wenn der Patient den Raum verlassen hatte in den Umschlag. Nicht alle Kollegen hielten sich an diese Regel des minimalen Anstands. Am Ende einer 24-Stunden- Schicht musste Alex oft feststellen, dass alle Umschläge zusammen nur 20 Euro hergaben. „Irgendwann hat’s mir gereicht“, sagt er. Vor sechs Jahren wechselte er nach Hamburg.

Die EU kritisiert regelmäßig

Die Korruption in Rumänien ist allgegenwärtig, und sie lässt sich nicht so effizient bekämpfen, wie die urbane und liberale Mittelschicht es sich beim EU-Beitritt vor zehn Jahren erhoffte. Denn auch Spitzenpolitiker sind Teil des Systems und sehen ihr Amt als Möglichkeit, sich persönlich zu bereichern. Das zeigt der Fall des ehemaligen sozialdemokratischen Premiers Adrian Nastase. Er wurde nach seiner Amtszeit wegen Korruption zu zwei Jahren Haft verurteilt. Während des Wahlkampfs im Jahr 2004, als er noch Ministerpräsident war, hatte er die staatliche Bauinspektion eine große Konferenz organisieren lassen. Die überteuerten Teilnahmegebühren, die alle Bauunternehmen zahlen mussten, wenn sie weiterhin öffentliche Aufträge bekommen wollten, flossen in die Wahlkampfkasse der Sozialdemokraten.

Die gefürchtete DNA, eine Sonderstaatsanwaltschaft für die Bekämpfung der großen Korruption, hat in den vergangenen Jahren frühere und amtierende Minister, Abgeordnete und Bürgermeister, Geschäftsleute, Ministerialbeamte und Richter angeklagt. Oft wurden diese auch verurteilt. Doch die EU-Kommission prangert regelmäßig die Korruption auf allen Ebenen der Verwaltung an – vom Innenministerium bis zum Rathaus. Brüssel macht sich berechtigte Sorgen, das auch europäische Gelder in diese Kanäle fließen. Viele junge Rumänen verlieren die Geduld und verlassen ihr Land. Oder sie demonstrieren regelmäßig gegen ein politisches System, von dem sie sich nicht mehr repräsentiert fühlen.

Auch die Kirche mischt mit

Zwei Reporter der Zeitung „Romania Libera“ wollten schon 2009 zeigen, dass jeder in Rumänien käuflich ist. Sie kontaktierten den orthodoxen Erzbischof von Constanta und erklärten ihm, dass sie sich eine Priesterstelle wünschten, ihnen aber leider ein theologischer Hochschulabschluss fehle. Der „hochheilige Vater“ Teodosie bot einen Deal an: Für 3000 Euro ließe sich das Diplom ausstellen, eine Stelle als Dorfpfarrer inklusive. Eine lukrativere Position koste natürlich mehr, erklärte der Erzbischof, ohne zu wissen, dass das Gespräch aufgenommen wurde. Bis heute ist in dieser Korruptionsaffäre wenig passiert. Teodosie ist trotz einiger unangenehmer DNA-Besuche und des wenig schmeichelhaften Spitznamens „Spagoveanu“, was ungefähr so viel wie „von Schmieren“ heißt, weiter im Amt. Die orthodoxe Kirche genießt nach wie vor Vertrauen in der Bevölkerung.

In Umfragen stilisieren sich die meisten Rumänen gerne zu Opfern der Korruption. Sie geben Politikern, Bürokraten und Geschäftsleuten die Schuld und hoffen, dass die EU die Situation ändern wird. Doch ein korruptes System ist ohne breite Akzeptanz und Beteiligung der Gesellschaft nicht möglich. Dabei eignen sich moralische und juristische Kategorien wie Schuld, Gesetzestreue oder Verbrechen wenig, wenn es darum geht, dieses soziologische und vor allem wirtschaftliche Phänomen zu verstehen. Die Rumänen leben in einer traditionell armen Gesellschaft, in der der Staat notorisch schwach und chronisch unterfinanziert ist und die Bürger keinen Grund haben, den institutionellen Mechanismen zu vertrauen.

Dagegen haben sich parallele Mechanismen und Netzwerke gebildet, die die Bedürfnisse der Menschen erfüllen und eine Alternative zu den offiziellen, nicht funktionierenden Wegen bieten. Die Korruption löst Probleme in Feldern, die der Staat längst aufgegeben hat. Sie zu kritisieren, ohne den Sozialstaat zu stärken, ist deshalb sinnlos.

Von Silviu Miha

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