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Politik: Es graut so grün

Die Führungsriege streitet um die Macht – und offenbart Einblicke in eine gespaltene Partei.

Berlin - Der politische Abgrund tat sich tief vor ihr auf. Beim ersten Wahlgang zum Parteirat des Berliner Landesverbandes fiel die bisherige Frontfrau der Realos, die Ex-Spitzenkandidatin und Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, am Samstag brutal durch. Es blieben ihr nur ein paar Minuten, um sich zu entscheiden, noch einmal anzutreten. Hätte sie es nicht gemacht, wäre es politischer Selbstmord gewesen. Wäre sie beim zweiten Mal durchgefallen, hätte es ihr politisches Aus bedeutet. Mit einem Ergebnis von 76 Prozent wurde sie gewählt. Gerade noch einmal wendeten die Grünen die komplette Demontage ihrer Vorzeige-Frau Künast ab.

Einen Tag nach dem Desaster wagen sich nur wenige Grünen-Politiker aus der Deckung. Das muntere Treiben der Führungsriege um Macht, der Streit über die Spitzenkandidatur 2013 zeigt eine zutiefst gespaltene Partei. „Dieses dämliche Schaulaufen“, schimpft eine führende Grünen-Politikerin, „bringt uns nicht weiter. Wir sind doch nicht auf einem Ponyhof.“ Sicher habe es „Verstimmungen über Renate“ gegeben, nach der Wahlschlappe in Berlin, ihrer mangelnden Selbstkritik und ihrer „relativen Beratungsresistenz“. Doch so, wie man jetzt im eigenen Lager mit ihr umgehe, „das hat sie nicht verdient. Sie hat damals hart um die Spitzenkandidatur gekämpft, während der Kretsch da ins Amt reingerutscht ist“. Mit dem „Kretsch“ ist bei den Grünen Winfried Kretschmann gemeint, der erste grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg.

Einer, der sich am Sonntag offen äußert, kommt auch aus Baden-Württemberg. Alexander Bonde gehört zum konservativen Grünen-Flügel und ist in der grün-roten Regierung in Stuttgart Verbraucherschutzminister. Er hält zu Künast und fordert, „dass sie mit ihrem klaren verbraucherschutzpolitischen Profil auch in Zukunft eine wichtige Rolle für die Grünen spielt“. Das Wort „Spitzenkandidatur“ sagt er nicht. Aber in Süddeutschland setzen die Grünen auf das bewährte Duo Jürgen Trittin und Künast. Trittin sagt über seine Ambitionen in der „Bild am Sonntag“ nur, er „debattiere nicht über Fragen, die jetzt nicht anstehen“. Doch sicher ist, dass der Parteilinke auch mit Unterstützung der Realos vorn stehen wird.

Künast schweigt. Nur Parteichefin Claudia Roth vom linken Flügel hat bisher ihre „grundsätzliche Bereitschaft“ erklärt, in einer „Spitzenkonstellation“ mitzuwirken. Eine Doppelspitze Trittin-Roth können sich viele nicht vorstellen. Beide gehören dem linken Lager an. Wenn Doppelspitze, dann bitte mit einer Frau. Aber: „Die Claudia hat nicht die Bandbreite wie Renate“, hört man aus Parteikreisen. Roth wirke „nach innen“, Künast ziehe „von außen“.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland aus Berlin gehört weder zur Parteilinken noch zum Reformerlager. „Es muss eine schnelle Lösung im Reformerlager geben, ob sie mit Künast noch in den Wahlkampf gehen wollen. Das kann nicht erst im Herbst geschehen“, sagte Wieland. Diese „Demontage auf Raten“ sei für die Gesamtpartei schädlich. Eine Parteilinke sagt: „Wenn die Realos ihre Königin stürzen, dann haben sie ein Vakuum.“

Auch viele andere Grüne fordern, die Personaldebatten so schnell wie möglich zu beenden. „Wir verhageln unsere Umfragewerte, wenn wir so weitermachen“, sagt ein grüner EU-Politiker. Im letzten „Deutschland-Trend“ vom 16. März rutschten die Grünen auf 13 Prozent. Seit ihrem Hoch von 24 Prozent Mitte 2011 verlor die Partei fast die Hälfte ihrer Unterstützer. Und die nächsten Wahlen stehen nach dem Saarland in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen bevor.

Sabine Beikler

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