Wissenschaftlicher Nachwuchs: Es gibt ein Leben außerhalb der Hochschule
Befristete Verträge dienen dem Ausprobieren. Aber Professoren dürfen nicht jenen, die keine Perspektive haben, etwas vorgaukeln. Eine Kolumne.
Die Geschichten des wissenschaftlichen Nachwuchses erinnern an den Aktienmarkt vor der Finanzkrise. Immer neue Finanzprodukte machten damals den Markt immer schneller und anfälliger, so wie heute an den Hochschulen immer kürzere Zeitverträge das kontinuierliche Arbeiten an Promotionsvorhaben und in Wissenschaftsgruppen behindern.
Dennoch: Wer befristete Verträge in der Wissenschaft abschaffen will, liegt genauso falsch wie diejenigen, die damals für immer aus den Aktien aussteigen wollten. Denn Zeitverträge sind das Wesen des Wissenschaftsbetriebs.
Sie sorgen dafür, dass heute viel mehr junge Akademiker ausprobieren können, ob sie Wissenschaft zum Beruf machen wollen. Sie fördern Austausch, Wandel und Erkenntnis – im Idealfall auch die Selbsterkenntnis.
Gehöre ich zu den besten drei Prozent meines Jahrgangs? Freue ich mich darauf, meinen beruflichen Weg an einer weiteren Hochschule fortsetzen zu können? Mit einem neuen Team, einem anderen Chef? Wer bei einer ehrlichen Selbstbefragung mit Nein antworten muss, braucht extrem viel Glück und eine robuste Spielernatur, wenn sie trotzdem an der Uni bleibt.
Die wissenschaftliche Spitzenkarriere bleibt die Ausnahme
Denn in Deutschland studieren knapp drei Millionen junge Leute, etwa 400.000 Wissenschaftlerinnen oder Künstler sind an den Hochschulen beschäftigt. Weniger als 50.000 von ihnen sind Professoren und Professorinnen. Bei dieser Relation kann niemandem verborgen bleiben, dass eine wissenschaftliche Spitzenkarriere die Ausnahme und nicht die Regel ist.
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Das Problem der vielen kurzen Befristungen ist ein anderes. Einige Professorinnen und Hochschullehrer gaukeln mit diesen Jobs auch denjenigen eine Perspektive vor, die keine haben. Sie kalkulieren einfach: Diese Mitarbeiter werden am Lehrstuhl fleißiger sein, sie werden sich stärker in der Lehre engagieren - schließlich wollen sie einen Anschlussvertrag.
Das ist nicht nur zynisch, es schadet allen: der Wissenschaft und den Studierenden, weil nicht immer die Besten bleiben dürfen, sondern die Willfährigsten. Den Betroffenen, weil sie sich zum Kanonenfutter des Wissenschaftsbetriebs machen lassen.
Zwölf Jahre kann dieses Spiel gehen, danach ist Schluss. Wer nach dieser Zeit nicht verbeamtet wird, muss gehen. Das ist zu spät, um in einem Unternehmen, einer Stiftung, in der Verwaltung oder der Schule noch richtig durchzustarten.
Die Akademikerarbeitslosigkeit in Deutschland liegt unter drei Prozent, die der Promovierten noch darunter. Vielleicht ist das die richtige Botschaft für die Protestierenden, die unter dem Hashtag #ichbinhanna für die Entfristung ihrer Verträge kämpfen: Es gibt ein Leben außerhalb der Hochschule. Es ist kein schlechtes.