Europa, Nato und Griechenland: Es geht um Geopolitik und nicht um Ökonomie
In der Grexit-Debatte geht es nicht mehr ums Geld, sondern um Geopolitik - das möchte nur so lange wie möglich keiner sagen. Ein Kommentar.
Vordergründig geht es um Zahlen, wo doch Griechenland in dieser Woche möglicherweise seine Kredite nicht mehr bedienen kann. Mit Ökonomie hat das Ziel, Athen im Euro-Raum zu halten, allerdings nicht mehr viel zu tun. Vielmehr spielen bei den Managern der Schuldenkrise, wenn sie Für und Wider eines Athener Ausscheidens aus der Euro-Zone abwägen, hochpolitische Überlegungen eine Rolle. Augenfällig wird das am Mittwoch nächster Woche: In Brüssel wird der griechische Finanzstaatssekretär erwartet, der den Kollegen eine Hilfsrate entlocken will, um seine Staatskasse flüssigzuhalten; Premier Alexis Tsipras besucht parallel einen anderen potenziellen Geldgeber – Wladimir Putin.
Am nächsten Mittwoch besucht Alexis Tsipras Wladimir Putin
Allein dieses Anbandeln wirft Fragen großer Tragweite auf. Will die Europäische Union zulassen, dass der Kreml Einfluss auf eines ihrer Mitglieder gewinnt? Die Einigkeit, die bisher in der Sanktionspolitik demonstriert wurde, ist ein Wert an sich – und der einzige Trumpf des Westens, um den Krieg in Europa auf ukrainischem Boden zu beenden.
Die Strategen in Brüssel oder Berlin haben auch Europas „Südostflanke“ im Blick. Mit dem kriegerischen Chaos jenseits des Mittelmeers könnten Flüchtlinge unkontrolliert nach Mitteleuropa durchgeschleust werden, wenn Athen seine bisher eher flapsig vorgetragene Drohung wahrmachte.
Die EU fürchtet, Griechenland könnte Flüchtlinge einfach durchleiten
Mehr denn je geht es jedoch ums Militärische. Griechenland ist Mitglied der Nato, die stets einstimmig entscheidet. Nicht zuletzt deswegen lassen auch die USA die Europäer wissen, dass sie Griechenland nicht in die Arme potenzieller Gegenspieler treiben dürfen, auch Chinas, das den Hafen von Piräus kaufen will. Eine mögliche Destabilisierung des gesamten Balkans gehört ebenfalls zu den Schreckensszenarien, die ausgemalt werden.
All diese Überlegungen werden öffentlich bisher kaum diskutiert, weil Europas Staats- und Regierungschefs auf eine Einigung unter den Finanzministern setzen. Sollten die Geldgespräche jedoch scheitern, dürfte die Causa Griechenland mit all ihren geostrategischen Implikationen wieder zur Sache der Chefs werden, die nicht zuletzt ihre eigene Glaubwürdigkeit verteidigen müssen. Schließlich haben zahllose EU-Gipfel fünf Jahre lang die Zusage gegeben, Griechenland werde im Euro bleiben.
Auch die Chinesen versuchen, ihren Einfluss in Griechenland auszubauen
Merkel & Co dürften vor diesem Hintergrund Zugeständnisse machen, aber nicht jeden Preis akzeptieren. Ihre Kompromissbereitschaft im Sinne des politischen Ganzen endet dort, wo ihre eigene politische Macht gefährdet ist. Die innenpolitischen Widerstände gegen den Euro-Rettungskurs werden sie sicher nicht außer Acht lassen – aller Weltpolitik zum Trotz.
Christopher Ziedler