Martenstein über Volksentscheide: Es geht nicht mehr um Tegel
Das Interesse der Politiker an Volksentscheiden hat stark nachgelassen. Weil das Volk abstimmt, wie es will. Ein Kommentar.
Die Forderung nach mehr Volksentscheiden, und zwar bindenden, ist 2013 Teil des Wahlprogramms der SPD gewesen. Der spätere Justizminister Heiko Maas sagte damals: „Wir haben völlig verlernt, dass wir für wichtige Entscheidungen in unserem Land ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Zustimmung brauchen.“
Müller reagiert trotzig
Dann kam in Großbritannien die Abstimmung über den Brexit. Seitdem hat die Begeisterung für direkte Demokratie bei den deutschen Regierenden stark nachgelassen, auch bei der SPD. Das Volk stimmt ab, wie es will, so schockierend es klingt. In Berlin sagt der Regierende Bürgermeister Michael Müller sinngemäß, dass ihn das Ergebnis der Abstimmung über den Flughafen Tegel null interessiert. Diese Haltung dürfte wohl kaum zu einer größeren Beliebtheit der Berliner Regierung beitragen, sie wirkt trotzig. Ein Mensch mit einem Riecher für Stimmungen, Angela Merkel zum Beispiel, hätte den Tegel-Fans vermutlich einen kleinen Kompromiss und reichlich warme Worte angeboten.
In der Abstimmung geht es ja längst nicht mehr um den ollen Flughafen. Zahlreiche Berliner leiden unter dem multiplen Organversagen ihrer Stadt, jetzt wollen sie die verantwortlichen Politiker endlich auch mal leiden sehen. Es wird vermutlich eine klassische Denkzettelwahl. Wenn aber die Denkzettel des Wahlvolks von der Regierung mit einem kaum verbrämten „Ihr könnt uns mal, steckt euch euren Denkzettel sonst wo hin“ quittiert werden, dann wird das Wahlvolk, aller historischen Erfahrung nach, extrem sauer. Falls Müller die Absicht hat, die Berliner SPD auf 15 Prozent zu führen, dann tut er genau das Richtige.
Die Chinesen sollten Schönefeld übernehmen
Aber – wie realistisch ist denn die Offenhaltung von Tegel, vom Juristischen mal abgesehen? Der Flughafen müsste renoviert werden. Männer werden kommen und rotweiße Bänder spannen. Erst mal wird monatelang nichts passieren. Tegel ist zu. Dann ziehen sich die Arbeiten hin. Die Kosten steigen auf zehn Milliarden Euro. Nach zwölf Jahren ist die Reparatur beendet. Zwei Tage vor Wiedereröffnung wird entdeckt, dass sie die Gepäckbänder vergessen haben und dass es in den Tower hineinregnet. Alles beginnt von vorn. Die Offenhaltung von Tegel überfordert die Berliner Verwaltung doch, nach allen Erfahrungen der letzten Zeit.
Realistisch wäre folgendes: Tegel wird vorsichtig abgebaut. Die BER-Ruine wird abgerissen. Dann baut man Tegel, Stück für Stück, in Schönefeld wieder auf, leicht vergrößert – die Genehmigungen gibt es ja. Das Ganze übernehmen chinesische Firmen, und damit die Berliner Politik nichts vermasselt, wird das Flughafengelände zu einem Teil der Volksrepublik China. So könnte es gehen. In China gibt es übrigens auch keine Volksabstimmungen.
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