Kommunalwahl in Hessen: Erschreckende Werte aus dem Polit-Labor
Hessen ist traditionell ein politisches Labor, in dem die Grünen groß geworden sind. Was bedeutet das, wenn jetzt die AfD hier Erfolge feiert? Ein Kommentar.
Wäre das alles doch bloß in Sachsen passiert: zweistellige AfD-Ergebnisse, in einzelnen Orten auch zweistellige NPD-Werte und eine Wahlbeteiligung, die in einzelnen Städten, Kreisen und Gemeinden unter 40 Prozent gerutscht ist. Aber es ist nicht Sachsen, es ist Hessen, Kommunalwahl im alten West-Deutschland.
Was fängt man mit so einem Ergebnis an? Zunächst einmal ist es noch kein Ergebnis. Das Kommunalwahlsystem in Hessen ist nicht das einfachste, da man Stimmen verteilen (panaschieren) oder auf eine Person konzentrieren (kumulieren) kann. Ausgezählt sind bis jetzt vor allem die Wahlzettel, die unverändert angenommen wurden. Am gesamten Trend wird das aber vermutlich nicht viel ändern: die Unzufriedenheit bei den Bürgern mit den etablierten Parteien ist sehr groß.
Die AfD ist in Hessen nicht flächendeckend angetreten, aber schon jetzt lässt sich sagen, dass sie dort, wo sie angetreten ist, auch erfolgreich war. Selbst in Universitätsstädten wie Gießen oder Darmstadt fährt sie zum Teil zweistellige Ergebnisse ein. Und dort, wo sie nicht angetreten ist, scheuen sich die, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, nicht davor, der NPD ihre Stimme zu geben. Gravierendstes Beispiel ist die Gemeinde Büdingen, wo die NPD nach derzeitigem Stand über 14 Prozent der Stimmen erhält.
Das Flüchtlingsthema ist vor allem ein kommunales
Die (Zwischen-)Ergebnisse zeigen vor allem eines: Wie stark das Flüchtlingsthema die Debatte bestimmt und wie gespalten Deutschland ist. Denn natürlich spielen gerade bei einer Kommunalwahl kommunale Themen eine wichtige Rolle und weniger bundespolitische. Nur das Flüchtlingsthema ist eben ein besonders kommunales Thema. Denn es gibt kaum einen Kreis, eine Gemeinde oder eine Stadt, die nicht vor der Frage steht, wie sie mit der hohen Zahl an Flüchtlingen umgehen soll. Es müssen Unterbringungen organisiert und Hilfe beschafft werden. Und natürlich steht die Frage im Raum, wie soll all das gelingen? Die Zahl der Ehrenamtlichen Helfer ist in vielen Städten und Gemeinden sehr hoch, aber auch die Zahl derer, die Ängste haben - und auch die Zahl derer, die die Flüchtlinge schlicht ablehnen. In Büdingen steht eines der größten Flüchtlingsheime in Hessen, ebenso in Gießen.
Gerade in den Kommunen müssen die etablierten Parteien diesen Spagat zwischen Hilfsbereitschaft, pragmatischer Politik und dem Ernstnehmen der Sorgen und Nöte schaffen, weil sie der erste Ansprechpartner sind. Und wie es aussieht, ist das nicht überall gelungen. Auch die klare Ablehnung rechtsextremer Tendenzen gehört zu dieser Aufgabe. Das das auch gelingen kann, zeigt allerdings auch ein hessisches Beispiel: In der Gemeinde Wölfersheim war die NPD traditionell stark - diesmal ist sie gar nicht mehr angetreten, und die SPD kommt auf über 60 Prozent der Stimmen, einem Plus von über sieben Prozentpunkten. Eine hessische Ausnahme.
Die Kluft wird immer größer
Die Kluft zwischen denen, die sich engagieren, die helfen und denen, die die Flüchtlingspolitik ablehnen, wird immer größer. Und mitten drin viele, die schwanken und nicht genau wissen, in welche Richtung sie eigentlich wollen. Und das drückt sich dann häufig in Wahlenthaltung aus.
Abseits der AfD gibt es auch andere Trends, die aufhorchen lassen: eine wiedererstarkte FDP, eine sich in Hessen trotz Verlusten stabilisierende SPD und Grüne, die stark verlieren (allerdings von hohem Niveau nach den Wahlerfolgen 2011 durch die Katastrophe von Fukushima).
Das hessische Polit-Labor
Hessen ist traditionell eine Art politisches Labor. Hier feierten die Grünen erste Wahlerfolge und sammelten erste Regierungserfahrung. Hier scheiterte Andrea Ypsilanti mit ihrem Versuch einer rot-roten Regierung. Und hier regiert derzeit Schwarz-Grün. Auch vor diesem Hintergrund sind die ersten Wahltrends bei der Kommunalwahl im Blick auf AfD und NPD besorgniserregend. Vor allem die Wahlkämpfer in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt werden die Ergebnisse mit großer Spannung zur Kenntnis nehmen, denn auch in ihren Ländern wird mit einem ähnlich hohen Protestpotenzial gerechnet. Vielleicht ist es ja ganz gut, dass wenigstens in Sachsen absehbar nicht gewählt wird.