8. Mai 1945: Erinnerung, die nicht vergeht
Der 8. Mai 1945 war für Deutschland, für Berlin, jene Stunde der Befreiung, die Richard von Weizsäcker am 40. Jahrestag in der deutschen Kapitulation erkannte. Dieses Land gewann sein Selbstverständnis aus dem „Nie wieder“. Ein Kommentar.
Von unserer Geschichte können wir uns so wenig frei machen wie von unseren individuellen Erbanlagen. Wir müssen mit den Licht- und Schattenseiten umgehen, denen der Nation und denen eines jeden Einzelnen. Und so wird die Erinnerung an den 8. Mai 1945, den Tag der deutschen Kapitulation, auch nicht ausgelöscht sein, wenn keiner mehr am Leben ist, der in vollem Bewusstsein damals das Geschehen in sich aufnehmen konnte. Das war schon so in der Beschwörung des Jahres 1914, als vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg begann. Den hat der amerikanische Diplomat George F. Kennen die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ genannt, weil mit dem militärischen Ende dieses Konfliktes, gleichbedeutend mit dem Untergang der alten Welt, schon der Keim des zweiten Völkermordens in die blutgetränkte Erde Europas gesenkt wurde.
Der 8. Mai 1945 war für Deutschland, für Berlin, jene Stunde der Befreiung, die Richard von Weizsäcker am 40. Jahrestag in der deutschen Kapitulation erkannte. Mit der totalen Niederlage Deutschlands begann – und deshalb ist die positive Setzung des damaligen Bundespräsidenten richtig – Deutschlands langer Weg nach Westen, wie Heinrich August Winkler die unumkehrbare politische Neuorientierung (West)Deutschlands überschrieb. Erstmals war das Land fest verwoben mit jenen europäischen und atlantischen Mächten, die durch gemeinsame Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verbunden sind.
Kein anderes Land hat sich einer ähnlichen Erinnerungsarbeit unterworfen
Für tausende von vergewaltigten Frauen und Millionen aus ihrer Heimat vertriebene Deutsche wird der 8. Mai 1945 hingegen kaum jene Stunde der Befreiung oder Erlösung gewesen sein, als die sie sich weltgeschichtlich später darstellte. Im Gegensatz zu den Menschen in Ostdeutschland oder den Staaten Mittelosteuropas begann für die in Westeuropa und Westdeutschland aber mit diesem Tag eine bis heute währende Periode des Friedens. Für die baltischen Staaten, für Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und für die Deutschen in der DDR fand die für den 8. Mai 1945 diagnostizierte Stunde der Befreiung erst mehr als 40 Jahre später, mit dem Fall der Berliner Mauer, statt.
„Kein anderes Land hat sich einer ähnlichen Erinnerungsarbeit unterworfen und die Zeichen der moralischen Schande so sichtbar gemacht“, stellte Herfried Münkler fest. Tatsächlich hatten die Deutschen, anders als ihre Nachbarn, keinen positiven Gründungsmythos. Dieses Land gewann sein Selbstverständnis aus dem „Nie wieder“. Freilich hätte Deutschland ohne das uneingeschränkte Bekenntnis der Schuld kaum den Weg zurück in den Kreis der zivilisierten Nationen gefunden. Der Prozess gegen den 93-jährigen früheren SS-Mann Oskar Gröning in Lüneburg ruft gerade die Erinnerung zurück an die unfassbare Grausamkeit, mit der sich Deutsche andere Völker untertan machen oder sie gar ausrotten wollten.
Die Versöhnung mit der Geschichte hat Deutschland nun, gegen den eigenen Willen, eine Führungsrolle zugewiesen. Diese Rolle wissen die übrigen Staaten Europas bei einem Land in guten Händen, das sich mit seiner Vergangenheit so vorbehaltlos auseinandergesetzt hat. Und mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und der friedlichen Revolution in der DDR hat das vereinte Deutschland jetzt auch einen positiven Gründungsmythos. Die skeptischen Deutschen haben es nur noch nicht richtig gemerkt.
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