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Der SPD Landesparteitag im Saarland wird von Bundesjustizminister Heiko Maas, Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger und Martin Schulz eröffnet.
© imago/Becker&Bredel

Martin Schulz und die SPD: Erhöht die Löhne!

Martin Schulz will mehr „soziale Gerechtigkeit“. Aber was heißt das? Unsere Kolumnistin macht ein paar konkrete Vorschläge.

Acht Euro und vierundachtzig Cent. So viel erhält ein volljähriger, arbeitender Mensch laut gesetzlichem Mindestlohn „je Zeitstunde“. Das ist wenig. Keine Frage, das Vermögen der Gesamtgesellschaft ist ungerecht verteilt. Darauf weist nicht nur Martin Schulz hin, der neue Kanzlerkandidat der SPD. Generalsekretärin Katarina Barley droht mit einem Gesetz, sollten Konzerne nicht Boni und Millionenabfindungen begrenzen. Die SPD kündigt einen Wahlkampf für mehr soziale Gerechtigkeit an. Aber das darf nicht nur weniger heißen für diejenigen, die viel haben - sondern auch mehr für diejenigen, die wenig haben.

Erbittert kicken die Parteien in der politischen Bundesliga den Lohnball hin und her. Es ist ein altes Spiel. Die Mannschaft der Arbeitgeber warnt: Werden die Löhne höher, trifft es unser Tor, wir können nicht mehr investieren! Die Mannschaft der Verfechter von Gerechtigkeit erwidert: Arbeitende sollen mehr abhaben! Sie sollen auch Tore schießen, auch gewinnen! Beide vermitteln, der jeweils andere müsse nachgeben – etwas abgeben.

Eine visionäre SPD unter Martin Schulz müsste den Mindestlohn erweitern

In den Ohren der Arbeitgeber war der Mindestlohn der Gong zum Untergang. Seit Januar 2015 ist er da und der Wirtschaft geht es sogar besser. Jetzt, ab 2017, gilt die erste „Mindestlohnanpassungsverordnung“, Eingeweihten als „MiLoV“ bekannt. Der Erfolg des Mindestlohns ist Nachweis dafür, wie unzeitgemäß die traditionelle, gegenseitige Erpressung ist. Nicht der Fußballplatz der Rivalen ist das Gelände, um das es geht, sondern der Marktplatz, salopp gesagt, der Lohn-Ball, auf dem beide Seiten als Tanzpartner teilnehmen. Auf diesem Ball ist MiLoV eine neue Kapelle, ihre Musik bringt Schwung, Aufschwung. Und eine visionäre SPD könnte die Kapelle zum neuen Orchester der sozialen Marktwirtschaft erweitern.

Wer Visionen habe, der solle zum Arzt gehen, hatte Altkanzler Helmut Schmidt verkündet, und Visionen fatal mit Halluzinationen verwechselt, mit Trugbildern. Trugbilder aber liefert eine aus dem Ruder laufende Ökonomie. Halluzinationen produziert eine digitalisierte Neo-Feudalwirtschaft. Mit ihr schaffen globalisierte Konzerne Finanzblasen und Armeen prekärer Verarmter. Ganze Gebirgsketten dieser fantastischen Finanzwelt umspannen die Kontinente. Auf ihren Berggipfeln thronen Banken und Konsortien mit flatternden Fahnen mit der Aufschrift: „Too big to fail!“ Das seien Sachzwänge, wird behauptet. Am Fuß der Berge aber spielt noch die kleine MiLoV-Kapelle, wie eingeschüchtert von der gigantischen Phantasmagorie. Gegen sie braucht es reale Visionen. Sachzwänge? Irreführung! Wer macht denn die Sachen? Menschen, wir alle. Sachen machen gar nichts, schon gar keinen Zwang.

Soziale Gerechtigkeit heiß: mehr Regulierung, Umverteilung, Beteiligung der Arbeitenden an den Erlösen

„Mehr Demokratie wagen“ hatte Willy Brandt einst als Parole ausgegeben. Eine damals wichtige, noch bescheidene Vision. „Mehr Demokratie fordern!“ Das muss die Vision von heute sein: Mehr Regulierung, der Gesamtwirtschaft dienende Umverteilung, höhere Eigenkapitalbasis der Finanzinstitute, Beteiligung der Arbeitenden an den Erlösen. „Im Moment monopolisieren Populisten das Selbstbewusstsein“, analysiert der schwedische Publizist Karl-Erik Norrman die Lage. „Höchste Zeit, dass Strategen der Demokratie es ihnen streitig machen!“

Nur wer gut verdient, kann gut konsumieren. Nur wenn konsumiert wird, gedeiht die Wirtschaft. Kapital muss zirkulieren, das erkannte etwa Karl Marx schon im 19. Jahrhundert. Geld muss im Fluss sein. Sammelt es sich stockend in Tümpeln, steckt es fest in den Taschen der Webstuhleigentümer, erstarrt die Gesamtökonomie. Das gilt auch für die Ära von „Apple“ und Co. Doch die Strategien für die Zirkulation müssen sich ändern.

Acht Euro und vierundachtzig Cent. So viel verdient ein Friseur, der den Tag über im Stehen die Schere schwingt. Das erhält eine Reinemachefrau, die Wassereimer schleppt und schmutzige Lappen auswringt, eine Hotelangestellte, die im Akkord Betten bezieht, ein Altenpfleger, eine Hilfskraft im Einzelhandel. Ja. Mit so einem Einkommen kann man überleben. Ja, man kann in einem Mietshochhaus am Stadtrand wohnen, Möbel in Raten abstottern, den Kindern Plastikstiefel kaufen. Zur Not lässt sich beim Amt Aufstockung – aus Steuergeldern – abholen. Viel allerdings können Leute, die so leben, nicht einmal in die Kassen von Aldi, Lidl oder Mediamarkt tragen. Und herzlich wenig geben sie aus für Dienstleistungen, deren Anteil an der Bruttowertschöpfung 2016 in Deutschland bei knapp 70 Prozent lag.

Schon Marx wusste: Kapital muss fließen

Je höher der Lohn, desto stärker die Kaufkraft. Je freier Lohnempfänger über Geld verfügen, desto unverzagter geben sie es aus oder investieren, desto lieber – und effektiver – arbeiten sie. Desto höher wiederum die Gewinne der Unternehmer, die Verdienste der Handwerksbetriebe. Und umso niedriger können Steuern werden, da weniger Leute in staatlich subventionierte Armut geraten. 6,2 Millionen Menschen beziehen derzeit Hartz IV, das weist eine aktuelle Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nach. Das Wirtschaftswunder war ein Lohnwunder war ein Konsumwunder. Auch für die Dienstleistungsgesellschaft der Gegenwart gilt dieser Dreiklang – als ein Akkord im neuen Orchester. Too big to fail? Das darf nur für eins gelten: die Demokratie.

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