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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, stehen zu Beginn der ersten Arbeitssitzung des G20-Gipfels nebeneinander.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Kampf um Posten des EU-Kommissionschefs: Erfolg gibt es nur im Team

Einzelkämpfer wie Macron haben Verhinderungs-, nicht aber Gestaltungsmacht. Warum ist die Versuchung dennoch immer wieder groß, dies zu testen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Um eine Lösung in der EU zu verhindern, reicht die Macht entschlossener Einzelkämpfer. Erfolge hingegen lassen sich nur durch Teamarbeit erzielen, durch Abstriche an Eigeninteressen, durch Kompromisse. Daran wird Europa gerade eindringlich erinnert. Mit den Mercosur-Staaten in Südamerika formt die EU die größte Freihandelszone der Erde. Sie erweitert ihren globalen ökonomischen Einfluss in einer Zeit, in der die USA und China durch ihren Handelsstreit zurückfallen. Das gemeinsame Interesse am Mercosur-Abkommen war stark genug, um Lösungen für die Einwände von Landwirten, Umwelt- und Verbraucherschützern zu finden.

Intern droht der EU parallel eine Blockade. Nach der Europawahl sind die Spitzenjobs im Parlament, in der Kommission, im Rat der Regierungschefs sowie in der Zentralbank zu besetzen. Ziel muss ein fairer Ausgleich der Machtinteressen zwischen den Nationen, den Parteienfamilien und den Institutionen der EU sein.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den ersten Anlauf ungewöhnlich undiplomatisch torpediert. Er lehnt Manfred Weber als Kommissionspräsidenten kategorisch ab. Auf den wäre es hinausgelaufen, wenn das 2014 eingeführte Prinzip weiter gilt: Der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im Europäischen Parlament wird es.
Macrons Revolte ist einerseits verständlich. Er hat wenig Einfluss im Machtpoker, wenn er diese junge Regel akzeptiert. Er gehört keiner großen Parteienfamilie an; er hat sich den Liberalen angeschlossen. Andererseits hat er nun gleich drei Machtzentren gegen sich aufgebracht: das Parlament, das ein institutionelles Interesse am Spitzenkandidatenprinzip hat; die Europäische Volkspartei (EVP) als größte Fraktion; und Kanzlerin Angela Merkel; sie hat Weber unterstützt, vertritt das einflussreichste EU- Land und hat viele Verbündete.

Macron in prekärer Lage

Vor dem Sondergipfel ist Macron in einer prekären Lage. Zwar wird er wohl Weber als Kommissionspräsidenten verhindern, aber zu einem hohen Preis. Seine Chancen, eigene Leute in die Spitzenjobs zu bringen, also ihm nahestehende Franzosen und Liberale, sinken. Denn auch das gehört zum Interessenausgleich in Europa: Wenn Macron dem Parlament, der EVP und Merkel eine Niederlage beibringt, darf er nicht als Sieger vom Platz gehen. Er muss ebenfalls eine sichtbare Niederlage einstecken.

Entweder wird er eine andere EVP-Person an der Kommissionsspitze akzeptieren müssen oder einen anderen Spitzenkandidaten, also den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans als Vertreter der zweitgrößten Fraktion im Parlament. Falls Timmermans es wird, wird die EVP-Merkel-Koalition eine weitere Kompensation verlangen. Weber wird Parlamentspräsident oder eine EVP-Person in Nachfolge Donald Tusks Präsident des Europäischen Rats; oder ein Deutscher rückt an die Spitze der Zentralbank. Eigentlich ist die Lehre klar: Erfolg in der EU gibt’s nur im Team. Einzelkämpfer haben Verhinderungs-, nicht aber Gestaltungsmacht. Warum ist die Versuchung dennoch immer wieder groß, dies zu testen? Das liegt auch am Zwittercharakter der EU. Es gibt keine europäische Öffentlichkeit. Der Resonanzboden ist die nationale Öffentlichkeit. Mag sein, dass Macron sich für die Franzosen in der Causa Weber gegen Madame Merkel durchgesetzt hat. Für die Deutschen ist weniger wichtig, ob ein Deutscher an der Spitze steht. Sondern: Inwieweit die Politik der Kommission, des Rats und der EZB Deutschland nützt. Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht.

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