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Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan begrüßt einen Soldaten.
© AFP

"Säuberungen" in der Türkei: Erdogans Misstrauen trifft große Teile der Armee

Recep Tayyip Erdogan will nach dem Putschversuch die Geheimdienste und das Militär unter seine Kontrolle stellen. Außenminister Cavusoglu bringt ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Gespräch.

Erdogans Antwort kam schnell. Innerhalb von Stunden ernannte er einen neuen Armeechef. Den ersten überhaupt, den eine gewählte Regierung in der Türkei bestimmte und nicht die Generäle untereinander ausmachten. Fünf Jahre ist das nun her. Die Ernennung des unscheinbaren Gendarmerie-Kommandeurs Necdet Özel zum neuen Generalstabschef im Sommer 2011 schien der ultimative Sieg Erdogans über die Armee. Bis der 15. Juli in diesem Sommer kam.

Auch der jahrelange, zäh geführte Kampf gegen die Armee und das Ende der politischen Bevormundung durch die Generäle haben die Putschgefahr nicht gebannt, muss der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan einsehen. Jetzt rechnet er ab. 1684 Soldaten wurden diese Woche unehrenhaft aus der Armee entlassen, darunter 149 Generäle. Die Liste hat sich Erdogan vom amtierenden Armeechef Hulusi Akar vorlegen lassen. Die toten Putschisten werden auf einem rasch ausgebaggerten „Friedhof der Verräter“ am Rand von Istanbul verscharrt wie Hunde. Sie bekommen weder ein Gebet noch ein Namensschild.

Tausende Soldaten sind weiter in Haft und werden – wie Amnesty International gestützt auf Aussagen von Anwälten und Häftlingen angibt – auch unter Anwendung von Folter verhört. Außenminister Mevlüt Cavusoglu kündigte an, dass möglicherweise das Volk über eine Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen werde. Nach seinen Worten erheben diese Forderung Tausende Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP. Exakt 8651 Soldaten haben sich an dem Coup in der Nacht des 15. Juli beteiligt, gab der Generalstabschef bereits an und versuchte das Debakel kleinzureden: Dies seien nur 1,5 Prozent der Armee, der zweitgrößten in der Nato nach den USA. Doch gar so klein war der Kreis der mutmaßlichen Verschwörer wohl nicht. 163 Generäle und Admiräle wurden bisher festgenommen. Das sind knapp 40 Prozent des Führungspersonals in diesen Rängen.

Gedemütigt und orientierungslos

Gedemütigt und orientierungslos zeigt sich deshalb die türkische Armeeführung nach diesem gescheiterten Putsch. Generalstabschef Hulusi Akar und die Kommandeure von Heer, Luftstreitkräften und der Gendarmerie waren von den Putschisten gefangen genommen worden. Von den Verschwörern, die den Coup vorbereitet hatten, hat Akar offenkundig nichts mitbekommen. Selbst sein Adjutant war unter den Putschisten. Erdogan ließ den Armeechef gleichwohl im Amt – für eine Übergangszeit, wie er selbst sagte. Der türkische Präsident ist entschlossen, die Armee komplett umzubauen. Doch dafür braucht er Zeit. Akar wird seinen Posten am Ende räumen, ebenso wie Hakan Fidan, der Geheimdienstchef. Beide hatten am Abend des 15. Juli den Staatspräsidenten nicht angerufen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt von dem anlaufenden Coup wussten. Eine Erklärung für dieses Versagen gibt es noch nicht.

Am Freitag bestellte der autoritär regierende Staatschef die führenden Generäle in den Präsidentenpalast in Ankara ein. Aufgereiht wie Internatszöglinge saßen sie auf langen Sofabänken zu seiner Linken und zu seiner Rechten. Erdogan thronte in der Mitte. Nach einer halben Stunde entließ er sie wieder. Es war ein Protokolltermin nach der Sitzung des Obersten Militärrats. Dessen Personalentscheidungen hat Erdogan nun allein bestimmt. Zweimal im Jahr tritt der Militärrat zusammen. Dieses Mal aber führte allein Erdogan die Regie. Er verlegte die Sitzung von Anfang August auf diese Woche und strich sie dazu noch auf einen einzigen Tag zusammen. Erstmals auch trat der Oberste Militärrat am Sitz des Ministerpräsidenten zusammen und nicht im Generalstab in Ankara. Es war ein Zeichen für den Führungsanspruch der Zivilisten. Und für Erdogans Misstrauen: Seinen Regierungschef Binali Yildirim wollte er nicht allein in das Gebäude des Generalstabs schicken. Ein zweiter Putsch oder ein Attentat auf einen hochrangigen Politiker sind immer noch denkbar.

Zwei Vier-Sterne-Generäle veranlasste Erdogan noch vor der Sitzung zum Rücktritt. Mehrere Generäle wurden von ihren Aufgaben bei der Nato entbunden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sind die zwei türkischen Mitglieder im Führungsstab des Afghanistan-Einsatzes von der „Säuberungsaktion“ betroffen. Den Chef der Ersten Armee, Ümit Dündar, ließ er zum stellvertretenden Generalstabschef befördern. Dündars Unterstützung in der Nacht des 15. Juli galt als entscheidend für den schnellen Zusammenbruch des Putschs. Reformen gab es bei der Sitzung des Militärrats nicht. Die kündigte Erdogan selbst an. So sollen die Kommandeure der Teilstreitkräfte künftig unter die Kontrolle des Präsidenten gestellt werden.

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