Nach der Wahl in der Türkei: Erdogan wird Filmstar
Fans bereiten die Verfilmung des Lebens ihres Idols in drei Teilen unter dem Titel "Der Chef" vor. Recep Tayyip Erdogan selbst stellt derweil die Weichen für ein Präsidialsystem.
Nach dem Wahlsieg seiner Regierungspartei AKP vom Sonntag dringt Präsident Recep Tayyip Erdogan nun auf die rasche Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei, das ihm selbst weitreichende Vollmachten einräumen würde. In einer Rede am Mittwoch forderte er zügige Gespräche der Parteien über eine neue Verfassung. Das Präsidialsystem könnte anschließend in einer Volksabstimmung beschlossen werden.Unterdessen treibt der wachsende Personenkult um Erdogan neue Blüten: Jetzt wird das Leben des 61-jährigen unter dem Titel „Der Chef“ verfilmt.
Kompromisslos gegenüber kritischen Medien
In seiner ersten Rede nach der Wahl vom Sonntag bekräftigte der „Chef“ am Mittwoch seine kompromisslose Linie gegen kritische Medien und gegen Wirtschaftsverbände, die ebenfalls seinen Zorn auf sich gezogen hatten. Bestimmte Medien und Verbände hätten mit kurdischen Separatisten und anderen Staatsfeinden gemeinsame Sache gemacht, sagte Erdogan. Zugleich verlangte er eine Reform der Verfassung. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin sagte, der Übergang zu einem Präsidialsystem könnte per Referendum erfolgen.
Im neuen Parlament verfügt die AKP über 317 von 550 Sitzen und braucht deshalb für Verfassungsänderungen dringend Bundesgenossen: Erst mit mindestens 330 Stimmen kann das Parlament ein Referundum über Verfassungsfragen anberaumen, mit 367 Stimmen kann die Volksvertretung die Verfassung sofort ändern.
HDP könnte Erdogan entgegenkommen
Erdogans Plan sieht ein starkes Präsidentenamt wie das in den USA vor, wo der Staatschef die entscheidenden Machtbefugnisse hat. Kritiker wenden ein, dass bei Erdogans Vorhaben – anders als in den USA – starke Kontrollbefugnisse des Parlamentes fehlen. Die Opposition lehnte die Umstellung vom parlamentarischen System auf das Präsidialsystem bisher geschlossen ab. Eine solche Systemumstellung komme nicht in Frage, erklärte die säkularistische Partei CHP, die mit 134 Abgeordneten zweitstärkste Kraft im Parlament.
Dagegen verlautete aus Kurdenpartei HDP, dass sie entgegen ihrer bisherigen Haltung zu Gesprächen über das Präsidialsystem bereit sei. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte angeboten, auch über Reformen im Wahlsystem zu verhandeln, das kleinere Parteien wie die HDP benachteiligt. Zudem will die HDP die Befugnisse lokaler und regionaler Verwaltungen gegenüber der Zentralregierung stärken. Es müsse über alles geredet werden, auch über das Präsidentenamt, sagte der HDP-Politiker Ayhan Bilgen. Nach Kritik aus der Öffentlichkeit widerrief er seine Position wieder.
Die AKP dürfte dennoch aufgehorcht haben. Mit ihren 59 Abgeordneten im Parlament könnte die HDP der Erdogan-Partei bei der Beschaffung der nötigen Mehrheiten helfen. In der türkischen Bevölkerung herrscht nach Ansicht von Demoskopen allerdings große Skepsis mit Blick auf ein Präsidialsystem, das von Kritikern als Ein-Mann-System gebrandmarkt wird. Bei einem Referendum würde Erdogans Vorschlag nach derzeitigem Stand der Dinge zurückgewiesen, sagte der Meinungsforscher Adil Gür.
Aufrechter Kämpfer für die Muslime
Bei der noch ungenügenden Begeisterung für den Mann an der Spitze kann möglicherweise nachgeholfen werden. Erdogan-Fans bereiten die Verfilmung des Lebens ihres Idols in drei Teilen vor – unter dem Titel „Der Chef“. Erdogans Kindheit und Aufstieg als Istanbuler Politiker stehen im Mittelpunkt des ersten Teils.
Vorab-Ausschnitte, die noch vor dem offiziellen Drehbeginn im Dezember verbreitet wurden, lassen vermuten, dass Erdogan als aufrechter Kämpfer für die Muslime dargestellt werden soll. So ist der heutige Präsident als Junge zu sehen, der mit wütender Miene dabei zusieht, wie ein frommer Muslim nach dem Putsch im Jahr 1960 von Soldaten festgenommen wird. Weitere Teile des Dreiteilers werden sich laut Presseberichten mit den Gezi-Protesten von 2013 und dem Aufstieg Erdogans zum Präsidenten befassen. „Mein Ziel ist es, der Welt den Geist Erdogans von A bis Z nahe zu bringen“, wurde Regisseur Ali Avci in der Presse zitiert.
Unklar ist, wer den erwachsenen Erdogan in dem Heldenopus darstellen soll. Die Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ meldete, einige namhafte Schauspieler hätten die Rolle bereits abgelehnt.