Korruptionsvorwürfe gegen türkische Regierung: Erdogan schlägt scharfe Töne an
Der türkische Premier Erdogan sieht „Spione“ und „Verräter“ hinter den Korruptionsvorwürfen, die auch Söhne seiner Minister betreffen. Vor allem den islamischen Prediger Fetullah Gülen hat er im Verdacht, Drahtzieher der laufenden Ermittlungen zu sein.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verschärft den Ton in der Kontroverse um die Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung. Der Premier sieht „Spione“ und „Verräter“ am Werk. Vor Anhängern seiner islamisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) sagte Erdogan am Sonntag in der Schwarzmeerstadt Giresun: „Unsere Feinde sollen wissen: Wir werden kommen und ihnen die Hände brechen!“
Im Zuge der Korruptionsermittlungen, bei denen es um mutmaßliche Bestechungsgelder für Staatsaufträge und Baugenehmigungen sowie Geldwäsche und illegale Goldtransfers geht, hat die Staatsanwaltschaft Anklagen gegen 24 Verdächtige erhoben. Unter ihnen sind der Chef der staatlichen Halkbank sowie zwei Söhne von Ministern aus Erdogans Kabinett. Ein dritter Ministersohn wurde nach seiner Festnahme wieder auf freien Fuß gesetzt.
Erdogan warnte: „Ihr, die ihr euch in den staatlichen Institutionen versteckt: Wir werden Euch in euren Verstecken aufspüren“ – ein Fingerzeig auf die Gefolgsleute des islamischen Predigers Fetullah Gülen, den Erdogan als Drahtzieher der Korruptionsenthüllungen vermutet. Der 1999 in die USA emigrierte Gülen steuert von seinem Landsitz im Bundesstaat Pennsylvania ein weltweites Netz von Bildungseinrichtungen und Medienunternehmen. In der Türkei sitzen Gülen-Anhänger an wichtigen Schaltstellen des Polizeiapparats, des Geheimdienstes und der Politik. Einst Verbündete, sind Erdogan und Gülen inzwischen erbitterte Feinde. Erdogan spricht von der Gülen-Bewegung als einer „Bande“, Gülen wirft dem Premier vor, er regiere „wie ein Pharao“.
Säuberungen im Polizeiapparat
Die staatliche türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines hat inzwischen die Verteilung der Zeitungen „Zaman“ und „Bugün“, die der Gülen-Bewegung zugerechnet werden, an Bord eingestellt. Auch mit umfangreichen Säuberungen im Polizeiapparat versucht Erdogan jetzt, den Einfluss Gülens zu brechen. Der Premier sprach von einer „Verschwörung in Teilen der Polizei und der Justiz“. Bereits über 100 Polizeioffiziere, darunter fast die gesamte Polizeiführung von Istanbul, wurden versetzt. Damit will die Regierung offenbar sicherstellen, dass es nicht zu weiteren Razzien und Festnahmen kommt. Außerdem erließ die Regierung eine Anweisung, wonach die Polizei künftig vorab das Innenministerium unterrichten muss, wenn es um Korruptionsermittlungen geht. Im vorliegenden Fall hatten Polizei und Staatsanwaltschaft rund ein Jahr verdeckt ermittelt.
Die drei Minister, unter ihnen der für die Polizei zuständige Innenminister Muammer Güler, wurden von den Festnahmen ihrer Söhne völlig überrascht. So etwas soll sich offenbar nicht wiederholen. Wohl um zu verhindern, dass Ermittlungsergebnisse an die Öffentlichkeit gelangen, dürfen Journalisten ab sofort Polizeidienststellen nicht mehr betreten. Der türkische Journalistenverband protestierte scharf: So ein Verbot habe es nicht einmal während der Militärdiktatur 1980 bis 1983 gegeben.
Erdogan reiste am Sonntagabend zu einem zweitägigen Staatsbesuch nach Pakistan. Politische Beobachter in Ankara erwarten, dass er nach seiner Rückkehr das Kabinett umbilden wird. Dann muss der Premier nicht nur über das Schicksal der beiden Minister entscheiden, deren Söhne seit dem vergangenen Wochenende in Untersuchungshaft sitzen. Nach türkischen Medienberichten ermittelt die Justiz im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen auch gegen vier Kabinettsmitglieder.
Gerd Höhler