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Recep Tayyip Erdogan in Brüssel.
© AFP

Krieg in Syrien: Erdogan: "Russisches Verhalten nicht hinnehmbar"

Der türkische Regierungschef und Nato-Generalsekretär Stoltenberg attackieren Russland. Die USA wollen nach Medienberichten Luftangriffe in Syrien ausweiten.

Im Syrien-Konflikt steht offenbar eine neue Eskalation bevor. Laut Medienberichten bereiten sowohl die USA als auch die von russischen Kampfflugzeugen unterstützte syrische Regierung neue Offensiven in dem Bürgerkriegsland vor. Die Kämpfe könnten mehr als eine Million weitere Flüchtlinge in die benachbarte Türkei treiben. Dies wiederum dürfte die Wanderungsbewegung Richtung Europa verstärken.

Die USA wollen nach einem Bericht der „New York Times“ ihre Luftangriffe auf die Stadt Raqqa im Norden Syriens ausweiten, das Hauptquartier der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) und der Sitz des vom IS ausgerufenen „Kalifats“. Von Luftwaffenstützpunkten in der Türkei aus sollen die Kampfjets der USA und ihrer Verbündeten demnach den Druck auf den IS erhöhen, während bis zu 20.000 Kurdenkämpfer und 5000 arabische Rebellen auf Raqqa vorrücken. Damit will Washington das Herz des IS-Machtbereichs direkt angreifen.

Syrien plant Bodenoffensive

Dem Zeitungsbericht zufolge wollen die USA zudem syrische Rebellen ab sofort direkt mit Munition und möglicherweise auch mit Waffen versorgen. Einige der vom Westen unterstützte Rebellenverbände in Syrien fordern die Lieferung von Luftabwehrraketen, um sich gegen russische Luftangriffe wehren zu können. Welche Gruppen in Syrien von den USA aufgerüstet werden sollen, ist unklar.

Insbesondere die Rolle der kurdischen Kämpfer in Syrien verstärkt in Ankara die Sorge, die syrische Kurdenpartei PYD könnte in Nord-Syrien versuchen, einen eigenen Kurdenstaat zu gründen. Westliche Waffenhilfe für die PYD, die bei den USA als verlässlicher und durchsetzungsfähiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat gilt, wird von der Türkei deshalb scharf kritisiert. Bei seinem Besuch in Brüssel am Montag betonte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, die mit der türkisch-kurdischen Rebellengruppe PKK verbündete PYD sei genauso eine Terrororganisation wie der IS.

Während die USA den Angriff auf Raqqa planen, laufen im Westen Syriens laut dpa die Vorbereitungen für eine Bodenoffensive syrischer Soldaten, libanesischer Hisbollah-Kämpfer und iranischer Revolutionsgardisten nördlich der Stadt Homs. Auch – offiziell aus Freiwilligen zusammengesetzte - russische Truppen könnten laut Medienberichten bald in Syrien eingreifen. In der Gegend nördlich von Homs hatten russische Kampfflugzeuge in den vergangenen Tagen die Stellungen von Rebellen angegriffen. Zweimal gerieten russische Jets dabei in den türkischen Luftraum; Moskau sprach von einem Versehen, doch die USA und die NATO meldeten Zweifel an dieser Darstellung an.

Nato glaubt Russland nicht

Erdogan nannte das russische Verhalten nicht hinnehmbar und sagte, Moskau werde „viel verlieren“, wenn es die Türkei als Freund verlieren sollte. Allerdings hat die Türkei, die im großen Maße von russischen Erdgaslieferungen abhängig ist, kaum Möglichkeiten, auf Russland einzuwirken. Auch deshalb beschwor Erdogan die Solidarität in der NATO: Ein Angriff auf die Türkei sei ein Angriff auf das ganze Bündnis, sagte er. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zweifelte am Dienstag die russische Darstellung an, wonach die Verletzung des türkischen Luftraums durch ein Kampfflugzeug am Wochenende ein Versehen war. "Ich werde jetzt nicht über die Motive spekulieren, aber das sieht nicht nach einem Missgeschick aus", sagte er in Brüssel.

Russischer Pilot auf dem Militärstützpunkt im syrischen Latakia.
Russischer Pilot auf dem Militärstützpunkt im syrischen Latakia.
© Alexander Kots/ AFP

Am Montag sollen laut türkischem Militär mehrere türkische Kampfjets an der syrischen Grenze von einer nicht identifizierten Mig-29 bedrängt worden. Demnach waren die acht F-16-Jets am Montag zu Aufklärungsflügen im Grenzgebiet unterwegs, als sie viereinhalb Minuten lang vom Zielradar des anderen Kampfflugzeugs erfasst wurden. Die Armee äußerte sich nicht dazu, ob es sich bei der Mig-29 um ein russisches Kampfflugzeug handelte. Ebenfalls unklar blieb, ob die türkischen Jets in Gefahr gerieten. Die gleichen Kampfflugzeuge seien aber bei einem separaten Vorfall von in Syrien stationierten Raketensystemen über vier Minuten lang "bedrängt" worden.

Moskau bestätigt Vorfall vom Samstag

Am Samstag war nach Angaben von Ankara ein russisches Kampfflugzeug abgefangen worden, das in den türkischen Luftraum eingedrungen war. Am Sonntag habe eine nicht identifizierte Mig-29 zwei türkische Kampfjets "bedrängt", hieß es. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums gestand den Vorfall vom Samstag ein. Das Eindringen eines russischen Kampfjets vom Typ Su-30 habe aber nur "einige Sekunden" gedauert und sei aufgrund "schlechter Wetterverhältnisse" erfolgt.

Neben einer Eskalation der militärischen Situation beim Nachbarn Syrien erwartet die Türkei auch eine Verschlimmerung der humanitären Lage. Sollten die russischen Luftangriffe das militärische Gleichgewicht im dicht besiedelten Westen Syriens verändern und der syrischen Regierung zur Rückeroberungen verlorener Gebiete verhelfen, könnten mehr als eine Million zusätzlicher Flüchtlinge in die Türkei kommen, sagte Vizepremier Numan Kurtulmus.

Besonders aufmerksam beobachtet Ankara die Lage in der ehemaligen syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo nahe der türkischen Grenze. In der Gegend um Aleppo kämpfen Regierungstruppen, der IS und andere Rebellenverbände gegeneinander. Sollte die Stadt an den IS fallen, könnten innerhalb kurzer Zeit mehrere hunderttausend Menschen in die Türkei fliehen.

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