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Auf alles vorbereitet. Ein Demonstrant am Rande des Gezi-Parks in Istanbul wappnet sich für das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte. Foto: Tolga Bozoglu/AFP
© dpa

Proteste in Istanbul: Erdogan redet mit den Demonstranten

Am Mittwoch hat Erdogan zum ersten Mal das Gespräch mit Protestierern vom Taksim-Platz gesucht. Diese rechnen aber mit weiteren gewaltvollen Aktionen der Polizei.

Nach den bisher schwersten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei in Istanbul hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch erstmals Vertreter der Protestbewegung zu einem Gespräch gebeten. Bei dem Treffen mit einer Gruppe von elf Künstlern, Studenten und Akademikern wurde über mögliche Lösungen für den Gezi-Park gesprochen. Ein brutaler Polizeieinsatz gegen ein friedliches Sit-In von Umweltschützern im Gezi-Park am 31. Mai hatte die landesweite Proteste ausgelöst. Im Park haben mehrere hundert Aktivisten Zelte aufgeschlagen; sie wollen bleiben, bis die Regierung auf ein Bauvorhaben auf dem Gelände verzichtet.

Am Dienstag hatte die Polizei den Taksim-Platz neben dem Gezi-Park besetzt und damit schwere Straßenschlachten ausgelöst, die sich bis in die frühen Morgenstunden des Mittwoch hinzogen. Dabei drangen die Beamten mehrmals in den Park ein. Anschließend schoss die Polizei Tränengas in den Gezi-Park – trotz einer vorherigen Zusage, dass der Park nicht angetastet werde. Mehrere Dutzend Menschen wurden verletzt.

Am Tag vor der Begegnung mit den Aktivisten hatte der Premier Härte demonstriert und gesagt, es gebe kein Nachsehen mit den Demonstranten mehr. Einige Aktivisten boykottierten deshalb das Gespräch. Die Gruppe „Taksim Solidarität“ distanzierte sich von den Gesprächen. Auch mehrere Aktivisten im Park sagten, sie setzten keinerlei Hoffnungen in die Kontakte. „Das ist eine Show“, sagte der 26-jährige Deniz Tumabaylu.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton verurteilte den „unverhältnismäßigen Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten“ in Istanbul. Sie forderte, die Einsätze zu untersuchen und Verantwortliche zur Verantwortung zu ziehen. Ashton rief die Regierung außerdem auf, den Dialog mit der Europäischen Union fortzuführen. Zwar sei die EU bereit, die Aufnahmegespräche zu beschleunigen. Als Aufnahmekandidat müsse das Land aber die demokratischen Grundsätze der EU einhalten. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte das massive Vorgehen der Polizei und Erdogans harte Haltung: „Die türkische Regierung sendet mit ihrer bisherigen Reaktion auf die Proteste das falsche Signal, ins eigene Land und auch nach Europa.“

Die EU steht kurz davor, ein weiteres Kapitel in den Beitrittsgesprächen mit der Türkei zu eröffnen. Im nächsten Schritt soll über Grundrechte, Justiz und Sicherheit verhandelt werden. Die Türkei muss nachweisen, dass sie mit ihren Gesetzen auf EU-Niveau ist und ihr System andernfalls entsprechend nachbessern – wenn sie dem Beitritt näherkommen will. „Die Einflussmöglichkeiten, die wir haben, sollten wir nutzen“, sagte Ashton. Doch unter den europäischen Regierungen, die über die weiteren Verhandlungen entscheiden, wird das offensichtlich anders gesehen.

Eigentlich hatte die irische EU-Ratspräsidentschaft den 26. Juni als Stichtag für die Eröffnung des nächsten Kapitels angesetzt. Es sei nach den Ereignissen von Istanbul aber „nur schwer vorstellbar, dass dies wie geplant passiert“, sagte ein EU-Diplomat. Auch im Auswärtigen Amt in Berlin ist man skeptischer geworden. „Es gibt erhebliche Zweifel, ob angesichts vieler offener Fragen die baldige Eröffnung eines Beitrittskapitels möglich ist“, heißt es dort. Der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), warf der Türkei vor, sie habe in den letzten Tagen die Grundrechte auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit nicht respektiert. Es ginge darum, die wachsende Zivilgesellschaft in der Türkei zu unterstützen. Er forderte die EU deshalb auf, die Gespräche mit der Türkei zu intensivieren. (mit Gerd Appenzeller)

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