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Die Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten Muharrem Ince von der größten Oppositionspartei CHP nehmen bei seiner Wahlkampfveranstaltung in Istanbul teil.
© dpa/Oliver Weiken

Endspurt im türkischen Wahlkampf: Erdogan-Herausforderer spricht vor Hunderttausenden

Der Erdogan-Herausforderer Muharrem Ince verspricht Erneuerung, Erdogan verspricht faire Wahlen. Am Rande des Wahlkampfs wurde erneut eine deutsche Staatsbürgerin festgenommen. So war der letzte Tag vor den Präsidentschaftswahlen.

Einen Tag vor den Wahlen in der Türkei intensiviert sich der Wahlkampf aller beteiligten Gruppen. Der Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei CHP versprach vor Hunderttausenden Menschen eine grundlegende Erneuerung des Landes. „Morgen wird es eine ganz andere Türkei geben“, sagte Muharrem Ince am Samstag bei einer Kundgebung im Istanbuler Stadtteil Maltepe. Er kündigte an, die Justiz unabhängig zu machen und den Beitrittsprozess mit der EU voranzutreiben. „Sofort, nachdem ich gewählt werde, werde ich die Hauptstädte in Europa besuchen“, sagte er. „Wir werden die Verhandlungen mit der Europäischen Union beschleunigen.“ Ince übte scharfe Kritik an Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Am Sonntag werden in der Türkei der Präsident und ein neues Parlament gewählt. Konsequenzen könnte ein Wahlerfolg Inces für die nach UN-Angaben mehr als 3,5 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei haben: Er kündigte an, auf ihre Rückführung nach Syrien hinzuarbeiten. Der Kandidat versprach, den Ausnahmezustand in der Türkei innerhalb von 48 Stunden aufzuheben und die Privatsphäre der Bürger zu schützen. „Ich verspreche Euch, dass die Telefone von keinem von Euch abgehört werden.“ Er fügte hinzu: „Ich werde alles Nötige für eine unabhängige und unparteiische Justiz tun.“

Der letzte große Auftritt Inces vor dem Wahlkampfende am Samstagabend zog massenhaft Menschen an. Der Kandidat selber sprach von fünf Millionen Besuchern auf dem Versammlungsplatz in Maltepe. Augenzeugen hielten diese Zahl für zu hoch. Der Staatssender TRT berichtete trotz des Massenauflaufs nicht über den Auftritt, sondern schaltete zu Wahlkampfveranstaltungen von Erdogan, der am Samstag fünf Mal in Istanbul auftreten wollte.

Ince nannte die regierungsnahen Medien in der Türkei „kriecherisch und parteiisch“ und machte Erdogan dafür verantwortlich, dass sie seine Versammlung nicht übertrugen. „Wenn ein faschistischer Kopf wie Erdogan fünf Millionen sieht, dann sagt er, sie sollen nicht senden. Deshalb sagt er es, aus Angst, aus Angst!“, rief Ince. "Das sind seine letzten Zuckungen!“ Die Verantwortlichen bei TRT werde er „vor Gericht stellen“. Mehr als 500 000 Menschen folgten der Übertragung der Versammlung auf Inces Twitter-Konto.

Erdogan verspricht freie und faire Wahlen

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan versprach währenddessen eine freie und faire Wahl. „Wir haben alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen“, versicherte er Tausenden Zuschauern bei einer Großkundgebung in Istanbul am Samstag. Wähler könnten Sicherheitskräfte in die Wahllokale bitten, wenn sie Probleme hätten. Am Sonntag werden in der Türkei der Präsident und ein neues Parlament gewählt.

Erdogan verwies darauf, dass alle Parteien Wahlbeobachter an den Urnen hätten. Oppositionsparteien wollen mit rund 600 000 Beobachtern weitaus mehr schicken als bei früheren Wahlen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will rund 330 internationale Beobachter aus 44 Ländern einsetzen.

Umfragen zufolge ist offen, ob Erdogan die Präsidentschaftswahl am Sonntag in der ersten Runde gewinnt. Sollte das nicht der Fall sein, müsste er am 8. Juli in eine Stichwahl gegen den Zweitplatzierten.

Erdogan rief seine Anhänger dazu auf, unbedingt wählen zu gehen. „Wir haben nur noch Stunden“, sagte er. „Passt auf! Lasst nicht nach. Nehmt alle eure Freunde und Verwandte mit zu den Wahlurnen. Gott bewahre, dass Faulheit uns in eine schwierige Lage bringt.“

Bei fast allen seiner Wahlkampfveranstaltungen hatte Erdogan die Leistungen seiner Partei hervorgehoben. Auch am Samstag sprach er wieder von Krankenhäusern, Brücken, Tunneln und Universitäten, die seine Regierung gebaut habe. Der größten Oppositionspartei CHP dagegen warf er erneut Untätigkeit vor.

Erneut Deutsche festgenommen

Am Rande des Wahlkampfs kam es am Samstag erneut zur Festnahme einer deutschen Staatsbürgerin. Nach der kurzzeitigen Inhaftierung einer deutschen Geschäftsfrau in der Türkei von Mittwoch bis Freitag nahmen türkische Behörden eine Sängerin aus Köln mit kurdischen Wurzeln fest. Sie sei in der Nacht zum Samstag im westtürkischen Edirne nach einer Wahlkampfveranstaltung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP inhaftiert worden, sagte ein HDP-Politiker aus der Stadt, Murat Amil, der Deutschen Presse-Agentur am Samstag. Polizisten hätten den Parteibus angehalten und die Frau mitgenommen. Sie habe bei HDP-Veranstaltungen gesungen und mit den Wahlkampf unterstützt.

Das Auswärtige Amt erklärte auf Anfrage lediglich, der Fall sei bekannt. Das Generalkonsulat in Istanbul und der Honorarkonsul vor Ort seien in Kontakt mit den türkischen Behörden. Einer Anwältin zufolge, die die Erstbetreuung der Sängerin übernahm, muss die Frau wegen der bevorstehenden Wahlen wohl bis Montag in Polizeigewahrsam bleiben und wird erst dann der Staatsanwaltschaft vorgeführt. (dpa)

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