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Verfassungsreferendum in der Türkei: Erdogan bittet um Vertrauen

Viele Türken halten Erdogans Verfassungsreform für sinnvoll. Doch insgeheim fürchten sie, er wolle nur mehr Macht. So wird das Verfassungsreferendum zu einer Art Ersatzwahl und einer Vertrauensabstimmung über die Regierung.

Ein Galgen, Folterwerkzeuge, Bilder der Opfer: Eindringlich erinnert ein neues Museum in der türkischen Hauptstadt Ankara an den Militärputsch vom 12. September 1980. Mehr als 600 000 Menschen wurden damals festgenommen, Tausende wurden gefoltert und getötet. Die Folgen des Putsches sind bis heute spürbar, denn die Generäle hinterließen eine Verfassung, die der Demokratie enge Fesseln anlegt. Am 30. Jahrestag des Putsches stimmen die Türken an diesem Sonntag über Verfassungsreformen ab, die einige dieser Fesseln lösen sollen. Das sagt zumindest die Regierung. Die Opposition sieht das ganz anders und will das Projekt ablehnen. So wird das Verfassungsreferendum zu einer Art Ersatzwahl und einer Vertrauensabstimmung über die Regierung.

Im Wahlkampf überzogen sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu mit Vorwürfen. Erdogan beschimpfte alle Gegner seiner Verfassungsreform pauschal als „Putschisten“. Kilicdaroglu warf Erdogan vor, aus der Türkei einen Polizeistaat machen zu wollen. Wenn die Verfassungsreform angenommen werden sollte, schärfte der Oppositionschef seinen Zuhörern bei einer Rede in Antalya ein, „können Sie eines Morgens von der Polizei abgeholt werden und für Monate im Gefängnis verschwinden“.

Die meisten Umfragen sagen ein knappes Ergebnis voraus. Erdogan sagte im Fernsehen, er rechne mit etwa 55 Prozent Jastimmen, jüngste Umfragen liegen etwas unter diesem Wert. Ein Ergebnis dieser Größenordnung würde für die Annahme der Reformen reichen, wäre aber ein weiteres Zeichen für die Polarisierung der türkischen Gesellschaft.

Vielen Türken falle es schwer, sich trotz der geplanten Verbesserungen durch die Reformen zu einem Ja durchzuringen, weil sie befürchteten, dass Erdogans AKP alle Macht im Land an sich reißen wolle, sagte der Istanbuler Soziologe Ferhat Kentel. „Auf der einen Seite steht die Hoffnung auf Veränderung, auf der anderen Seite die Frage, ob man Erdogan vertrauen soll.“

Mit einem Millionenaufwand für Plakate, Anzeigen und Broschüren sowie Wahlkampfreden überall im Land kämpften das Ja- und das Neinlager in den vergangenen Wochen um Stimmen. Allein Erdogan wird bis zum Wahltag rund 50 Auftritte absolviert haben. Seiner Regierungspartei AKP steht ein Neinblock gegenüber, der die größten Oppositionsparteien umfasst: Kilicdaroglus linksnationale CHP und die rechtsgerichtete MHP ebenso wie die Kurdenpartei BDP, die ihre Anhänger zum Boykott aufruft. Schon die Beschlussfassung des Verfassungspakets im Parlament im Frühjahr, die den Weg zum Referendum freimachte, war ein reines AKP-Projekt.

Dabei würde eine große Mehrheit der Türken einigen Änderungen in Erdogans Paket sofort zustimmen. So sollen die Rechte von Frauen, Kindern, Behinderten und Gewerkschaften gestärkt, die politische Macht der Militärs weiter eingeschränkt werden. Von hoher symbolischer Bedeutung ist zudem das Vorhaben, die juristische Immunität der Putschführer von 1980 aufzuheben. Die Türken können am Sonntag allerdings nur über das Gesamtvorhaben abstimmen.

Nicht nur daran stößt sich die Opposition. Die CHP als Vertreterin der traditionellen Eliten kritisiert vor allem die Justizreform. Erdogan will den Aufbau des Verfassungsgerichts und eines Gremiums zur Ernennung von Richtern und Staatsanwälten neu ordnen. Gegner sehen das als Versuch, die als regierungskritisch bekannte Justiz an die Kandare zu nehmen; im Hintergrund steht der Dauervorwurf, Erdogans AKP bereite die islamistische Machtergreifung vor.

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