Wolfgang Schäuble über Richard von Weizsäcker: „Er hat Berlin mit seiner Politik geheilt“
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) spricht im Tagesspiegel-Interview über seinen Parteifreund Richard von Weizsäcker: Er war ein besonderer Mensch.
Wie lange kannten Sie einander?
Seit 1972, dem Jahr, in dem ich in den Bundestag kam. Wir sind uns näher gekommen in diesen ersten Jahren. Er war ein besonderer Mensch. Mit einer liebenswürdigen Art.
Wirklich?
Ja doch, er konnte sehr herzlich sein. Wenn er wollte. Wir hatten über die Jahre eine enge persönliche Beziehung. Irgendwann habe ich ja mal als Fraktionsvorsitzender meinen Rücktritt erklärt, mir ging’s an dem Tag nicht so gut. Da kam er in mein Büro. Nur so. Das musst du auch haben: Da sein, wenn es jemandem dreckig geht. Die Erinnerung daran geht mir jetzt nahe.
Wir hören gerade viel von Patriotismus. Viele reden über ihren. Worin bestand seiner?
Richard von Weizsäcker war wirklich jemand, der eine Beziehung zu Deutschland hatte. Eine enge, emotionale Bindung an sein Land. Einer, der die schwere Verletzung dieses Landes, die er durch sein eigenes Leben kannte, heilen wollte. Es war für ihn ja auch ein langer Weg, vom Kriegsbeginn 1939, den er erlebt hatte, über die Prozesse von Nürnberg bis in die Zeit heute. Auch das hat ihn besonders gemacht.
Welcher Art war sein Adel? Nicht der buchstäbliche, sondern der, sagen wir, Geistesadel?
Richard von Weizsäcker war umfassend, war außergewöhnlich gebildet. Er hatte einen sehr weiten Bildungshorizont. Das war ein Privileg des Großbürgertums, und er war sich dessen bewusst. Es hat sein Verhalten geprägt. Er konnte sehr zugewandt sein. Ich erinnere mich gut. Als ich zur Reha in Langensteinbach war, wünschten sich die Pflegekräfte sehr, er möge doch noch ein paar Sätze mit ihnen reden. Ob ich ihn bitten könne. Nun, er hat dann auch mit ihnen geredet, sehr liebenswürdig, und noch lange danach haben sie davon geschwärmt. Oder eine andere Erinnerung: Als er in den Bundesländern Antrittsbesuche machte, war er auch in Gengenbach. Ich bin natürlich sofort dorthin geeilt, wir wohnten ja dort. Und da hat er sich mit einem jungen Mädchen unterhalten, als sei es das Wichtigste der Welt. Er war eben nicht nur der Mensch der großen Reden. Er konnte Menschen das Gefühl geben, dass es in diesem Moment nur sie für ihn gebe. Das konnte er. Er konnte Gunst verteilen. Er hatte ja auch zu herrschen gelernt. Richard von Weizsäcker hatte etwas Eigenes, was ihn groß gemacht hat.
Er erhob sich über die Parteien. Durfte er das, war das angemessen? Er war doch auch ein Produkt einer Partei, der CDU.
Er war Kirchentagspräsident! Er war attraktiv für die CDU. Es war damals Helmut Kohls große Zeit, in der er danach handelte: Je attraktiver die Großen um ihn herum, desto größer die CDU. Weizsäcker hat der CDU viel gegeben, mindestens so viel wie sie ihm. Das Grundsatzprogramm von 1978 – er hatte seit Anfang der Siebziger die Grundsatzkommission geleitet. Und eine grandiose Rede zu dessen Annahme gehalten. Es war nicht nur Kurt Biedenkopf, auch er hat der CDU einen erheblichen Teil intellektuelle Tiefe gegeben. Und dann Berlin! Denken Sie an Berlin! Ich war dabei, als Helmut Kohl den damaligen Vorsitzenden der Berliner CDU Peter Lorenz anrief und sagte, die CDU solle mit Weizsäcker antreten. Er war der Einzige, der Berlin für die CDU gewinnen konnte. Eberhard Diepgen, der lange unterschätzte, wäre ohne Richard von Weizsäcker nicht vorstellbar.
Und sein Ehrgeiz, auch Postenehrgeiz? Er wollte ja doch unbedingt Bundespräsident werden.
1974 konnte er nicht gewinnen und trat doch für uns an. 1979 durfte er nicht, und 1984 war es dann endlich so weit. Das Amt war ihm auf den Leib geschneidert.
Sein Vater war Hitler zu Diensten. War es richtig von ihm, ihn in Nürnberg zu verteidigen?
Warum soll er nicht? Er hat am Bild des Vaters gearbeitet, damit es nicht so furchtbar schlecht sein möge in der Geschichte. Dass der Sohn seinen Vater verteidigt – ich finde das anrührend. Und was er daraus gemacht hat! Es kulminiert in der einen Rede.
War diese Rede seine größte Leistung?
Im Grunde ist seine ganze Bundespräsidentschaft groß gewesen, die ganzen ersten Jahre waren es. Es geriet später ein wenig in den Hintergrund, weil er der Bundespräsident der Ära Kohl war, nicht Kohl Kanzler in der Ära Weizsäcker. Und Berlin: Er hat Berlin mit seiner Politik geheilt, hat eine Politik gemacht, mit der Berlin mehr wurde.
War der 8. Mai ein Tag der Befreiung?
Aber ja! Heute bestreitet es keiner mehr. Andere haben es damals ähnlich gesagt wie er, aber nie so gut.
Er war Protestant, Sie sind Protestant. Was zeichnet einen guten Protestanten aus?
Gottvertrauen. Richard von Weizsäcker hatte nicht die unangenehmen Seiten, die der Protestantismus auch hat, das Weltabgewandte, das Frömmlerische. Er konnte auch lachen. Er ging gerne auf Kirchentage. Er hat sich wohl gefühlt in seinem Glauben, geborgen.
Das Gespräch mit Wolfgang Schäuble führte Stephan-Andreas Casdorff.