Todesstrafe für Kriminelle: Enthauptungen in Saudi-Arabien: Im Namen des Islam
Saudi-Arabien lässt Kriminelle öffentlich mit dem Schwert hinrichten – und schert sich nicht um die Proteste von Menschenrechtsorganisationen. Eine Reportage aus Riad.
Ein heißer Windstoß fegt über den Al-Safah-Platz, treibt leise schmirgelnd einen leeren Pappkarton vor sich her. Versteinert steht die etwa tausendköpfige Menge hinter den Absperrgittern und verfolgt mit den Augen die beiden großen, schlanken Gestalten in weißen Gewändern, wie sie zur Mitte des Platzes schreiten. Hüfthohe, silbrige Krummsäbel blitzen in ihren Händen. Die Augen sind hinter Sonnenbrillen verborgen, Mund und Nase verhüllt, der Kopf mit dem üblichen Kufiya-Tuch bedeckt.
Langsam rollt der grau-blaue Kleintransporter rückwärts heran, die hintere Ladetür wird geöffnet. Auf den grauen Steinplatten, wo bis zum Mittag noch Jungen lärmend Fußball spielten und Springfontänen plätscherten, sind zwei Areale mit rötlichen Decken ausgelegt. Auf den umliegenden Dächern recken sich Scharfschützen, an den Ecken des Platzes liegen Lautsprecher aus für die beiden Todesurteile des Tages.
Es ist kurz vor 16 Uhr an diesem Freitag. Das Nachmittagsgebet nebenan in der Moschee von Riad ist gerade zu Ende, als Saudi-Arabiens blinder Großmufti Abdul Aziz al Sheikh in Sichtweite des Hinrichtungsortes im schwarzen Geländewagen vorfährt. Von seinen Begleitern untergehakt, wird der 71-Jährige durch das Haupttor ins Innere des prächtigen Gotteshauses geleitet, wo er – wie jeden Freitag – frisch bekehrten Muslimen den wahren Islam unterrichtet.
60 Menschen hat Saudi-Arabien in diesem Jahr bereits öffentlich hingerichtet
Draußen stützen Helfer derweil die beiden Todeskandidaten bei ihren letzten Schritten auf Erden. Deren Hände sind auf den Rücken gefesselt, über die Gesichter breite, graue Tücher geknotet. Einen Moment mustert der Henker konzentriert sein flach kniendes Opfer, drückt mit dem linken Zeigefinger den frei gelegten Hals noch ein wenig nach unten. Dann saust das Krummschwert herab – der Kopf fällt auf das Deckenlager, eine runde Blutfontäne spritzt aus dem Rumpf. Hastig werden über die blechernen Lautsprecher Name und Taten des Hingerichteten heruntergeleiert, während der Scharfrichter bedächtig seine Klinge mit einem weißen Tuch abwischt. Der geköpfte Saudi Abdullah al Qassim soll einen Mann erdrosselt, der Minuten später exekutierte Jemenit Khadr al Tahiri sein Opfer mit Säure übergossen und zu Tode geätzt haben.
60 Menschen hat Saudi-Arabien in diesem Jahr bereits öffentlich mit dem Schwert hingerichtet, allein im August waren es 23, im vergangenen Jahr und 2012 jeweils 79. Immer wieder appellieren die Vereinten Nationen mit scharfen Worten an das erzkonservative Königreich, diese brutale Praxis zu beenden, die auf der Welt sonst nur die Barbaren vom „Islamischen Staat“ (IS) praktizieren. „Trotz zahlreicher Aufrufe von Menschenrechtsorganisationen, fährt Saudi- Arabien in widerlicher Regelmäßigkeit mit seinen Exekutionen fort und verstößt damit in schamloser Weise gegen internationale Rechtsstandards“, kritisiert Christof Heyns, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für außergerichtliche, wahllose und willkürliche Hinrichtungen. Human Rights Watch spricht von „einem weiteren dunklen Makel in der Menschenrechtsbilanz des Königreichs“.
Auf Mord, Vergewaltigung, Hochverrat, schwerer Raub, aber auch Drogenhandel und sogar Hexerei können in dem ultraorthodoxen Gottesstaat mit dem Tode bestraft werden.
Mord, Vergewaltigung, Hochverrat und schweren Raub steht die Todesstrafe
Eine Woche später wird auf demselben Al-Safah-Platz in Riad ein Saudi öffentlich enthauptet, „weil er eine große Menge an Haschisch und Amphetaminen ins Land schmuggeln wollte“, wie das Innenministerium mitteilte. Für Amnesty International erfüllen saudische Strafprozesse nicht die Mindeststandards eines fairen Verfahrens. Angeklagten werden Strafverteidiger verweigert, Geständnisse durch Folter erpresst und die Beschuldigten dann einzig aufgrund dieser Geständnisse zum Tode verurteilt.
Die Zuschauer auf dem Al-Safah-Platz haben für diese Bedenken kein Verständnis, die sie als typisch westliche Bevormundung empfinden. „Leute wissen, wo sie bei uns dran sind. Sie bekommen ihre gerechte Strafe – das dient der Sicherheit unseres Landes“, sagt ein fülliger Saudi in traditioneller Kleidung. Ein älterer Herr mit schütterem Haar und abgewetztem Trainingsanzug gesellt sich dazu. „Ich bin undercover hier“, kokettiert der 66-Jährige in makellosem Englisch. Seinen Vornamen gibt er mit Aziz an und stellt sich als pensionierter Geheimdienst-General vor.
42 Jahre lang war er Agent, spezialisiert auf das Entschärfen von Bomben, wie er sagt. In den achtziger Jahren als junger Leutnant habe er saudische Geldkoffer eigenhändig nach Afghanistan zu Osama bin Laden und dessen Gefolgsleuten gebracht. „Ich habe alle Terroristen gekannt“, brüstet er sich. Damals im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer züchteten die Saudis die erste Generation arabischer Gotteskrieger heran. Drei Jahrzehnte später steht das superreiche Königreich nun selbst im Visier der Extremisten – und fliegt Seite an Seite mit den Vereinigten Staaten Luftangriffe gegen die blutrünstigen Fanatiker des „Islamische Staats“.
„Was der IS macht, sind Verbrechen, was wir tun, geschieht nach Recht und Gesetz des Islam“
Parallelen zwischen der offiziell lizensierten Strafpraxis der saudischen Monarchie und ihren Nachahmern vom Islamischen Staat (IS), die bisher vier westlichen Geiseln vor laufender Kamera die Köpfe abschnitten, wollen Geheimdienstveteran Aziz und andere Umstehende nicht gelten lassen. „Was der IS macht, sind Verbrechen, was wir tun, geschieht nach Recht und Gesetz des Islam“, deklamieren sie. Außerdem seien Enthauptungen humaner und weniger qualvoll als der elektrische Stuhl.
Nach Scharia-Recht kann die Familie des Opfers den zum Tode Verurteilten im letzten Moment begnadigen. Dann wird ein Blutgeld fällig, der Tarif für Mord liegt in Saudi-Arabien gegenwärtig bei 60 000 Euro. Nach der Exekution wirkt der pensionierte Geheimdienst-General Aziz erleichtert und zufrieden, steckt sich eine Zigarette an und spendiert den ausländischen Besuchern Dosen-Cola aus dem Imbiss. Ob es ihnen gefallen habe und ob sie wiederkommen werden, will er wissen.
„Wir hätten allen IS-Leuten sofort die Köpfe abschlagen sollen, wie diesen Mördern, dann hätten wir dieses Problem heute nicht“, deklamiert er in die Runde. Am Hinrichtungsort steht inzwischen der weiße Tankwagen, der die ganze Zeit hinter den Zuschauern im Vorhof der Moschee gewartet hatte. Pakistanische Gastarbeiter schrubben die Steine, einige Saudis in weißen Gewändern schauen zu. Mit einem dicken Schlauch wird das Blut in den speziellen Abfluss in der Platzmitte gespült. Und dann sind die jungen Fußballer vom Mittag wieder da.
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