Streit um Irsching: Energiewende auf bayerisch
Die geplante Stilllegung des modernen Gaskraftwerks Irsching in Bayern erregt die Gemüter. Dabei ist es ein Prestigeprojekt von Ministerpräsident Horst Seehofer. Gefährdet das seine Bilanz?
In seinem wohl entscheidenden Regierungsjahr 2015 läuft es bisher überhaupt nicht rund für Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Vor allem die verfahrene Lage in der Energiepolitik und der endlose Streit mit dem Bund darüber lassen daran zweifeln, dass der CSU- Chef die Partei so gut aufgestellt für die Wahlen 2017 und 2018 (Bund und Freistaat) übergeben kann, wie er sich das wünscht. Und mit welchen Leistungen wird er selbst in die Geschichtsbücher eingehen? Womöglich mit einer eher mageren Bilanz.
Jüngstes Beispiel für das kleinteilige Hickhack, in das die bayerische Staatsregierung immer wieder verstrickt wird, ist die vom Eon-Konzern geplante Abschaltung des Gaskraftwerks Irsching bei Ingolstadt. Dieser Fall, der normalerweise unter ferner liefen notiert würde, wirft ein Schlaglicht auf den von Seehofer angestrebten bayerischen Sonderweg.
Irsching gilt als modernstes und effizientestes Gaskraftwerk in Deutschland, ja in ganz Europa. Auf Anlagen wie Irsching setzt Seehofer, um die Stromlücke zu schließen, die spätestens 2022 auftritt, wenn in Deutschland alle Atomkraftwerke abgestellt werden. Gaskraftwerke, von denen die meisten noch gar nicht existieren, sollen die von Seehofer und Teilen der Bevölkerung so ungeliebten neuen Stromtrassen durch den Freistaat ersetzen. Gaskraft statt Windenergie aus dem Norden, lautet die Devise. Doch hat Irsching beispielsweise im vergangenen Jahr keine Sekunde Strom für den Markt produziert. Die wirtschaftliche Perspektive sei „äußerst kritisch“, sagt ein Eon- Sprecher.
Für Seehofer und sein Ziel, das Jahrhundertprojekt Energiewende auf seine eigene Weise durchzusetzen, ist das prekär. So nennt er es einen „Treppenwitz“, wenn gerade Irsching abgeschaltet werden sollte. Die Schuld dafür sieht er, wie so oft, in Berlin beim Koalitionspartner. Bundesenergieminister Sigmar Gabriel (SPD) habe bisher kein Konzept erstellt, wie viel Strom auf welche Weise in Zukunft erzeugt werden muss, damit nicht im Freistaat und anderswo die Lichter ausgehen. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) steht ihrem Chef Seehofer zur Seite: Gabriel rede „zu viel über den Stromtransport und zu wenig über die Stromproduktion“.
Wieso ist die moderne Anlage in Irsching unrentabel?
Warum ist Irsching zwar hochmodern, aber unrentabel? Der Verkauf von Energie läuft heute nach folgenden Regeln: Vorfahrt haben die regenerativen Energien wie Wind- und Solarstrom. Dies ist politisch so gewollt, deshalb wird diese Stromerzeugung massiv subventioniert. Danach geht es nach den Marktpreisen. Da sind Kohle und derzeit noch Atomstrom am günstigsten und werden deshalb verkauft. Die Herstellung von Strom mit Gaskraft aber ist teurer, deshalb fällt diese völlig hinten runter. Das Kraftwerk Irsching wurde bisher nur gebraucht, um Netzstabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Wollte man mehr Gas- und weniger Kohlestrom haben, müsste man die Marktbedingungen ändern, also entweder die Gaskraft subventionieren oder die Kohle verteuern.
Dass Irsching allerdings tatsächlich dicht gemacht wird, gilt als unwahrscheinlich. Eon müsste jetzt bei der Bundesnetzagentur einen Antrag auf Schließung im Jahr 2016 stellen. Doch diese Netzagentur dürfte sich sperren und verlangen, dass Irsching als Reservekraftwerk weiterhin besteht. Die Folge: Eon würde dafür weitere Millionen Euro kassieren.
Seehofer indes blickt auf harte Verhandlungen mit SPD und CDU in Berlin, bei denen er die Stromtrassen verhindern und die hohe Subventionierung weiterer Gaskraft durchsetzen will. Was bleibt fürs Geschichtsbuch? Die herausragenden bayerischen Staatshaushalte – der Freistaat nimmt nicht nur keine Kredite mehr auf, er baut sogar Schulden ab. Die Digitalisierung des Landes, die voranschreitet. Es bleibt aber auch jede Menge kleinlicher Streit über Randthemen wie die Ausländer-Maut oder das Zerwürfnis mit Weltklasse-Musikern, weil Seehofer der Stadt München den seit Jahren versprochenen zweiten großen Konzertsaal verwehrt.