Freilassung kritischer Journalisten in der Türkei: Eine juristische Ohrfeige für Präsident Erdogan
Der türkische Präsident hatte an der Inhaftierung zweier Journalisten mitgewirkt. Nun hat ein Gericht deren Freilassung beschlossen. Denn sie hätten nur ihre Arbeit getan.
Auch im Gefängnis hat sich Can Dündar seinen Sinn für Ironie bewahrt. Als der Chefredakteur der türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ m frühen Freitagmorgen auf Weisung des Verfassungsgerichts aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, galt einer seiner ersten Sätze seinem Erzfeind, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Der Präsident, der maßgeblich an der Inhaftierung Dündars beteiligt war, feierte am Freitag seinen 62. Geburtstag. „Wir gratulieren ihm zum Geburtstag“, sagte Dündar – und fügte hinzu: „Und wir freuen uns, dass wir ihn mit der Freilassung feiern dürfen.“
Dündar und der Leiter des Hauptstadtbüros seiner Zeitung, Erdem Gül, waren in Haft genommen worden, weil sie über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellen berichtet hatten. Erdogan persönlich hatte Strafanzeige wegen angeblicher Spionage gestellt und öffentlich erklärt, Dündar werde einen hohen Preis für die Veröffentlichung zahlen.
Im Prozess drohen Dündar und Gül lebenslange Haftstrafen
Im bevorstehenden Prozess drohen Dündar und Gül lebenslange Haftstrafen. Von der Kritik aus Europa und den USA am Vorgehen gegen die Journalisten zeigte sich Erdogan unbeeindruckt: Nach seiner Meinung hat die Türkei trotz der Inhaftierung mehrerer Dutzend Journalisten die freieste Presse der Welt. In der Liste von Reporter Ohne Grenzen rangiert die Türkei dagegen auf Platz 149 von 180 Staaten.
Ob der Prozess gegen Dündar und Gül jetzt noch so wie von Erdogan und der Staatsanwaltschaft geplant stattfinden kann, ist ungewiss. Denn die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist wie die Freilassung der Journalisten selbst eine Ohrfeige für Erdogan und seine Anhänger. Die Richter betonten nicht nur, dass die Untersuchungshaft eine Rechtsverletzung darstellte, sie unterstrichen auch, dass Dündar und Gül lediglich ihre Arbeit als Berichterstatter taten, als sie ihre Leser über die angeblichen Waffenlieferungen informierten.
Damit ging das Gericht an den Kern der Argumentation, mit dem das Erdogan-Lager die Inhaftierung von kritischen Journalisten begründet. Die Haft werde nicht wegen journalistischer Arbeit angeordnet, sondern wegen Vergehen wie Terrorpropaganda oder eben Geheimnisverrat, sagen der Präsident und seine Partei AKP. Doch dieser Hinweis wurde jetzt von den obersten Richtern vom Tisch gewischt.
Zudem hatte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu selbst vor wenigen Tagen die Berichte von Dündar und Gül indirekt bestätigt. In einem Interview mit dem arabischen Sender Al Dschasira hatte Davutoglu gesagt, es sei nur der türkischen Unterstützung für die syrischen Rebellen zu verdanken, dass syrische Regierungstruppen nicht überall im Land aktiv sein könnten.
Während sich Dündar und Gül nun in Freiheit auf den Beginn ihres Prozesses am 25. März vorbereiten können, hoffen einige Beobachter auf das Ende einer Ära wachsender Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Rund 30 Journalisten seien noch in Haft, sagte Dündar: Der Kampf für sie müsse weitergehen. Türkische Journalistenverbände rechnen dem Verfassungsgerichtsurteil für Dündar und Gül eine Rolle als Präzedenzentscheidung zu. Der Journalist Yalcin Dogan schrieb im Internetprotal „T24“, jetzt sei das „Licht am Ende des Tunnels“ zu sehen. Das Verfassungsgericht habe der Unabhängigkeit der türkischen Justiz einen großen Dienst erwiesen. Die meisten Verfassungsrichter waren von Erdogans Vorgänger Abdullah Gül ernannt worden, der als Reformer galt.
Doch es gibt keinen Hinweis darauf, dass Erdogan und die Regierung ihre harte Linie gegen Kritiker jedweder Art aufgeben wollen, im Gegenteil. Wenige Stunden nach der Freilassung von Dündar und Gül wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft in Ankara die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu beantragt hat. Kilicdaroglu soll – wie so viele andere Kritiker – wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung vor Gericht gestellt werden. Gleichzeitig forderte die Anklagebehörde den Betreiber des Fernsehsatelliten Türksat auf, den regierungskritischen TV-Sender IMC aus dem Programm zu nehmen.