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Chefin der Antidiskriminierungsstelle: „Eine gerechte Gesellschaft bringt Milliardengewinne“

Die Chefin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, über Quoten, die Chancen gleicher Chancen – und warum Deutschlands Gesetz schwach ist.

Das Antidiskriminierungsgesetz gibt es seit fünf Jahren. Hat es etwas bewirkt?

Ganz sicher. Es hat das Thema Diskriminierung in die Öffentlichkeit gebracht und das Bewusstsein für Benachteiligungen verstärkt.

Wer weiß überhaupt, dass es ein Gesetz gibt, das Diskriminierung verbietet?

Leider immer noch nicht genug von denen, die es betrifft. Als ich vor eineinhalb Jahren anfing, kannte nur jeder Dritte das AGG. Deshalb ist Öffentlichkeitsarbeit für mich ein Schwerpunkt.

Haben Sie Zahlen über das Ausmaß von Diskriminierung?

Bisher keine verlässlichen. Die meisten Fälle werden nirgends registriert. Wer meldet sich schon, wenn er oder sie eine Stelle nicht bekommt oder wenn die Wohnungssuche für einen Menschen mit einem türkischem Namen zum Spießrutenlauf wird? Rund 10 000 Diskriminierungsfälle haben wir bei uns seit Bestehen der Stelle 2006 bearbeitet. Aber unsere Zahlen geben nicht die Häufigkeit von Diskriminierungen wieder.

Was sind die häufigsten Gründe?

Am häufigsten geht es um Diskriminierung wegen einer Behinderung, es folgt die wegen des Geschlechts, danach Alter, ethnische und religiöse Diskriminierung. Aber das ist nicht repräsentativ. Das spiegelt nur das Verhältnis der Betroffenen, die sich an uns wenden.

Muss das Gesetz verändert werden?

Wir werten derzeit die Erfahrungen aus. Es gibt durchaus Punkte, die verbessert werden müssten.

Zum Beispiel?

Deutschland hat seine Antidiskriminierungsstelle im Vergleich zu den meisten EU-Ländern schlechter ausgestattet. Mit unserem Öffentlichkeitsbudget zum Beispiel, von jährlich 300 000 Euro, kann man keine großen Sprünge machen. Unsere britische Schwesterbehörde hat nach massiven Kürzungen immer noch zehnmal so viele Beschäftigte wie wir. Und: Gegen Diskriminierung vorzugehen, ist immer noch allein Sache der Betroffenen. Wir haben in solchen Fällen kein eigenes Klagerecht. Das legt die Hürden für eine effektive Bekämpfung von Diskriminierung enorm hoch.

Jede und jeder Dritte hat in einer von Ihnen veröffentlichten Umfrage angegeben, schon einmal diskriminiert worden zu sein. Was sagen Sie denen, die meinen: So ist das Leben?

Darauf sage ich: In einer demokratischen Gesellschaft müssen die Chancen gerecht, also so gleich wie möglich verteilt sein. Und wir brauchen die Vielfalt von Alten, Jungen, verschiedenen Kulturen und Geschlechtern für die Gesellschaft. Es macht das Leben lebenswerter und die Wirtschaft gewinnt nebenbei Milliarden Euro dazu, wie z. B. eine aktuelle Studie von Roland Berger belegt.

Wollen Sie dafür Quoten?

Ich bin absolut für die Frauenquote.

Auch für eine Migrantenquote?

Nein.

Warum nicht?

Dagegen sprechen derzeit zwei Punkte. Erstens: Wer ist Migrant? Diese Frage ist auch unter den Betroffenen höchst umstritten. Zweitens ist die Rechtsprechung zum Thema Quoten für ethnische Minderheiten noch völlig unklar. Bei Frauenquoten dagegen gab es höchstrichterliche Entscheidungen, die eine Einführung möglich machen. Ich hoffe, wir schaffen es durch Sensibilisierung von Arbeitgebern und Behörden - wie hier in Berlin, wo der Regierende Bürgermeister sich persönlich engagiert - Veränderungen zu erreichen.

Das haben auch die Frauen immer gehofft.

Ich hoffe, der Migrantenanteil ist in 30 Jahren nicht ebenso gering wie der von Frauen nach Jahrzehnten der Frauenbewegung. Wenn sich nichts tut, wird man neu reden müssen.

Sie wollen sich demnächst der Altersdiskriminierung widmen. Warum?

Es ist in der Öffentlichkeit angekommen, dass wir angesichts der Bevölkerungsentwicklung nicht mehr auf ältere Beschäftigte verzichten können. Das heißt aber nicht, dass diese Erkenntnis auch umgesetzt wird. Und kaum jemand weiß, dass auch junge Menschen diskriminiert werden.

Wo das?

Junge Beschäftigte bekommen oft weniger Gehalt oder weniger Urlaubstage. Und nicht selten wird bestens Qualifizierten eine Führungsposition verwehrt, nur weil sie jung sind. Denken Sie an Christian Lindner, der in der FDP als potentieller Parteivorsitzender gehandelt wurde. Niemand fand, dass ihm dafür etwas fehle - es ging nur um sein Alter: Der taugt nichts, weil zu jung. Das ist auch eine Form der Altersdiskriminierung.

Seit Oktober gibt es das Projekt „Anonym bewerben“. Mit welchen Ergebnissen?

Entgegen der Befürchtung von Wirtschaftsverbänden muss die anonymisierte Bewerbung keine bürokratische Last sein. Eine Bewerbung mit unserem standardisierten Bewerbungsformular bedeutet keine Mehrarbeit. Einige der Beteiligten sind sehr zufrieden mit den ersten Erfahrungen.

Haben sich Unternehmen für Leute entschieden, für die sie sich sonst nicht interessiert hätten?

Das wissen wir noch nicht. Wir erwarten dazu die Ergebnisse eines unabhängigen Forschungsinstituts im Frühjahr 2012. Es gibt aber viele Länder, vor allem die USA, die das Verfahren seit Jahrzehnten anwenden. Eine Bewerbung mit Foto ist in den USA seit den 60er Jahren unmöglich, das gilt auch für das Alter oder den Familienstand.

Sie setzen auf Freiwilligkeit und nicht auf eine gesetzliche Regelung?

Ja, ich setze bewusst auf Freiwilligkeit, weil das Verfahren den Menschen per Überzeugung und nicht per Verordnung nahe gebracht werden soll. Mittlerweile kommen bereits Anrufe von Unternehmen, die sich überlegen, ob sie anonymisierte Bewerbungen ausprobieren.

Das Interview führten Andrea Dernbach und Gerd Nowakowski.

Christine Lüders

leitet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit 2010. Aufgabe der Stelle ist es, Benachteiligungen verhindern zu helfen – etwa wegen Alter, Geschlecht oder Religion.

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