Von der Leyen als Verteidigungsministerin: Eine, die es wissen will
Die Entscheidung von Angela Merkel, Ursula von der Leyen als erste Frau zur Verteidigungsministerin zu machen, ist ein Zeichen über dieses Amt hinaus. Und es zeigt deutlich von der Leyens Ambitionen.
Es gibt verschiedene Methoden, eine Frauenquote zu erfüllen. Bei der SPD zum Beispiel neigen sie zum Abzählen, jeweils halbe-halbe. Bei der CDU ist seit Beginn der Ära Merkel ein etwas anderes Verfahren in Gebrauch: oben anfangen – und wenn Frau, dann richtig. Die Überlegung hat gewiss nicht an vorderster Stelle gestanden, als Angela Merkel diese Woche einen neuen Job für ihre profilierteste Ministerin gesucht hat. Sie ist freilich ein hübscher Nebeneffekt, umso hübscher, als die fragliche Frau sich bekanntlich für Quoten starkmacht. Nur ist Ursula von der Leyen als neue Herrin im Verteidigungsministerium ganz und gar keine Quotenfrau-Entscheidung. Es ist ein Signal mit Pauken und Trompeten.
Die Geschichte dieser Entscheidung beginnt in der langen Nacht im Willy- Brandt-Haus, in der Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel die große Koalition aushandelten. Ganz früh am Morgen hatten sich die drei Parteichefs zum letzten Mal zurückgezogen, um sich darüber zu verständigen, welche Partei welches Amt in der künftigen Regierungsmannschaft kriegen sollte. So was ist immer heikel. Regierungen werden heutzutage nicht so sehr von Leistungen geprägt als von Gesichtern. Zugleich herrscht im Binnenleben der Parteien noch das Neandertal: Wenn der Boss nicht mit fetter Ämterbeute von der Jagd zurückkommt, kann er gleich am Höhleneingang wieder kehrtmachen. Dass in diesem speziellen Fall der SPD-Boss seine Beute am liebsten versteckt hätte, aus Bammel vor der grummeligen Basis, machte die Sache nicht einfacher.
Ausgehandelt haben die drei die Verteilung der Posten in dieser Nacht trotzdem. Zentral dabei, sagt einer aus der CDU, der früh Bescheid wusste, zentral also war ein Zugeständnis, das Seehofer erbringen musste. Die CSU hat ihre Landtagswahl triumphal bestanden, Bayern hat zu Merkels Bundes-Triumph mächtig beigetragen. Trotzdem sind die Christsozialen in einer großen Koalition mit bundesweit gezählten nicht ganz acht Prozent nur fünftes Rad am Wagen. Rein mathematisch ginge es gut ohne sie. Und so gerne Seehofer öffentlich den Löwen markiert – der CSU-Chef beherrscht die politischen Grundrechenarten.
Seehofer tauschte Masse gegen Bedeutung
In seinem Fall lautete die Gleichung: Zwei wichtige Ministerien gelten so viel wie eins plus zwei kleine. Seehofer tauschte Masse gegen Bedeutung, nahm das Entwicklungs- und gab Merkel das Innenministerium zurück. Das sollte sich für sie später als hilfreich erweisen. Ihren frühen Förderer Thomas de Maizière aus dem Verteidigungsministerium abzuberufen, um ihn in ein im Rang „kleineres“ Haus zu schicken – das, versichern Leute, die es wissen müssen, wäre Merkel nicht eingefallen, „Euro Hawk“-Affäre hin oder her. Aber das Innenministerium ist ein „großes“ Haus in der informellen Hierarchie des Kabinetts. Es wird nicht automatisch kleiner dadurch, dass de Maizière da früher schon mal war.
Seehofer, nur um das kurz vorauszuschicken, hat jetzt seinen General Alexander Dobrindt mit dem Verkehrsministerium plus „digitale Infrastruktur“ belohnt, dem Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich die Wahl zwischen Agrar- und Entwicklungsministerium gelassen – der Franke nahm die Landwirtschaft – und den ob der Degradierung beleidigten Peter Ramsauer ziehen lassen.
Aber nach der langen Nacht im Brandt-Haus passierte bekanntermaßen erst mal nichts. Die Parteichefs hielten dicht, die SPD-Basis füllte Abstimmzettel aus, zwischendurch segneten CSU und CDU den Koalitionsvertrag ab. Am Montag tagte zu diesem Zweck der Kleine Parteitag der CDU im Berliner Hotel Interconti. Irgendwann ging ein Mann mit Seitenscheitel und Brille raus, um im Innenhof eine Runde zu rauchen.
Ronald Pofalla hat die Koalitionsverhandlungen konzipiert und gesteuert; in der großen Runde, intern als „Volkskongress“ verspottet, hat er den Redeanteil der CDU bisweilen fast alleine bestritten. Pofalla war an diesem nieselregnerischen Montag im Interconti schon etwas klar, was sonst nur sehr wenige wussten – Merkel freilich seit Wochen. Zwei Tage später führte sie mit ihrem Kanzleramtschef das letzte Gespräch. Seit diesem Mittwoch war entschieden: Pofalla steigt aus. Er hat eine junge Lebensgefährtin, die beiden hatten nicht viel voneinander – der Chef des Kanzleramts arbeitet öfter von morgens sechs bis nachts um vier und dann um sechs Uhr weiter. Außerdem will der 54-Jährige auch mal Geld verdienen und in erster Reihe stehen.
Merkel ließ ihn ungern ziehen. Pofalla war immer loyal, oft trickreich und hat klaglos öffentliche Prügel eingesteckt. Ein „tolles Team“ seien sie gewesen, wird die Kanzlerin am Sonntagabend sagen. Aber der Abgang des getreuen Helfers eröffnete ihr zugleich neue Möglichkeiten. Sechs CDU-Ministerposten angemessen unter allen Verdienten zu verteilen, erschien kompliziert. Ohne Pofalla wurde das Puzzle erheblich einfacher.
"Irgendwie mag ich die ja"
Und so sah sich Ende der Woche Ursula von der Leyen plötzlich vor eine komfortable Wahl gestellt. Die Niedersächsin hat eine erstaunliche Karriere hingelegt. Von Merkel entdeckt und als Helferin im Hintergrund eingesetzt worden war die zierliche Frau zu den Zeiten, als von der Leyen das niedersächsische Sozialministerium leitete und Merkel die CDU zur Reformpartei formen wollte. In Hannover wurde das Konzept für die Gesundheitsreform gerechnet, die die Parteichefin in Leipzig zum Programm erhob. Dann Bundesministerin für Familie, dann für Arbeit und Soziales – wo von der Leyen war, da war immer was los.
Das Verhältnis zu Merkel hat seit den frühen Tage allerlei Schrammen bekommen. Politische Freunde hat sie sich ohnehin nicht viele gemacht. „Röschen“, wie sie zu Hause vom Vater Ernst Albrecht genannt wurde, als der noch Ministerpräsident in Niedersachsen und CDU-Widersacher Helmut Kohls war – Röschen also neigt zum Solo. Überfallartige Vorstöße sind ihre Spezialität, Rammstöße per Zeitungsinterview gegen scheinbar unverrückbare Positionen, viel Feind, viel Ehr. Die derart Überrannten ärgert das. Aber neulich erst hat wieder einer von denen eingeräumt, dass ihm diese kalkulierte Dreistigkeit zugleich imponiert. „Irgendwie mag ich die ja“, knurrte der Mann, einer der Wichtigen im Politgeschäft.
Eisern ist sie, stählern gegen sich selbst, diszipliniert bis an den Rand der Karikatur. Öffentlichkeitswirksam ist sie, allgegenwärtig in den Talkshows in der Wahlkampfzeit. Und wer Ursula von der Leyen je dabei erlebt hat, wie sie eine Parteiversammlung in Beifallsräusche treibt, obwohl mindestens die Hälfte der älteren Herren im Publikum vorher fest entschlossen war, die Frau am Rednerpult schrecklich zu finden – den kann es nicht wundern, dass Merkel ihr die Befehls- und Kommandogewalt angeboten hat.
Von der Leyen wusste da schon, dass sie beim Kabinettslotto nicht mit dem Gesundheitsministerium abgespeist würde. Aber auch gemessen an den Alternativen, die die Kanzlerin ihr sonst noch eröffnen konnte, war der Ministersessel im Bendlerblock der bei Weitem reizvollste. Merkel hatte sich das gedacht: „Meine Vorstellungen an der Stelle sind sehr alt“, merkte sie am Sonntag bei der Verkündung ihrer Mannschaft an. Erste Frau an der Spitze der Bundeswehr, internationales Auftreten – Verteidigungspolitik hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges von der Panzerverwaltung zur Außenpolitik mit anderen Mitteln entwickelt. Ein Amt mit Risiko und riesengroßen Chancen. Von der Leyen griff sofort zu.
Englisch kann sie, Französisch kann sie, eine Männerhierarchie mit breitem Lächeln zum Strammstehen ermuntern – das kann sie auch. Überdies könnte die neue Chefin der Bundeswehr etwas über Einsatzstress und Reformfrust hinweghelfen. In der Armee trauern viele heimlich den Tagen nach, als „ihr“ Minister der Star des Kabinetts war. „Den Glamour von Karl-Theodor zu Guttenberg hat sie allemal“, findet hoffnungsfroh einer aus der CDU-Spitze.
Nach Leyens Ja war die Kabinettsbildung logisch
Von dem Moment an, als von der Leyen Ja sagte, war der Rest der Kabinettsbildung logisch. Sicher, de Maizière muss damit leben, dass er ins alte Innenressort zurückkehrt. Er hätte die eigene Wehrreform gerne noch zu Ende gebracht, die er mitsamt dem Amt notgedrungen von Guttenberg übernommen hatte. Aber für den preussisch-korrekten Juristen war immer klar, dass die Chefin in Personaldingen das Sagen hat.
Für Peter Altmaier war klar, dass er etwas Neues brauchte, weil sein Umweltministerium ab jetzt der SPD gehört. Dass er nun Pofallas Büro bezieht, ist keine echte Überraschung. Nur dass der kommunikationsfreudige Saarländer jetzt als Merkel-Erklärer per Funk, Fernsehen und Twitter ausfällt, weil beim Kanzleramtschef unauffällige Verschwiegenheit zur Jobbeschreibung zählt – das, sagt selbst einer aus dem Kreis der Merkel-Freunde, sei ein wenig bedauerlich.
Für Hermann Gröhe war klar, dass er nach Jahren im Hintergrund und dem so überaus erfolgreichen Wahlkampf in ein Ministerium aufrücken durfte. Für treue Dienste belohnt wird er mit dem Gesundheitsministerium. Wobei eine zweite Personalie in diesem Haus noch viel interessanter ist. „Pflegebeauftragter der Bundesregierung“ klingt nach nichts Besonderem. Aber Merkel hat sich als diesen Beauftragten Karl-Josef Laumann ausgesucht. Der ist nicht nur ein markiger Sozialpolitiker. Seine Rückkehr nach Berlin löst zugleich die Selbstblockade der CDU im größten Bundesland NRW. Landeschef Armin Laschet kann jetzt neben dem Landesvorsitz Laumanns bisheriges Amt als Fraktionschef in Düsseldorf übernehmen.
„Ein typischer Merkel“, kommentiert ein Christdemokrat den Zug: Laumann wird schon länger Sehnsucht nach der Bundes-Bühne nachgesagt, Laschet kann sich nun voll als Oppositionsführer bewähren. „Wenn er’s schafft, ist es gut und sie hat ihm den Weg geebnet“, beschreibt der Gewährsmann das Prinzip Merkel, „wenn nicht – sein Problem.“
Am Sonntagabend steht dann auch der letzte typische Merkel fest: Peter Tauber heißt der neue CDU-Generalsekretär – 39 Jahre, Netzpolitiker, einer der Jungen, die den Koalitionsvertrag viel zu rentnerlastig fanden. Tauber, der aus Frankfurt stammt, steht am Sonntagabend in schwarzem Anzug mit dunkelgrüner Krawatte neben der Chefin. Dass der freundliche Trend-Glatzenträger („Mir werden auch künftig keine grauen Haare mehr wachsen“) also nur des Landesgruppenproporzes wegen ins Adenauer-Haus einzieht – die Hessen hatten noch einen gut –, das mag glauben, wer will.
Hinter der Personalie schimmert das gleiche Kalkül auf, das die erste Frau im Wehrressort noch klarer verkörpert. Angela Merkels dritte Kanzlerwahl könnte die letzte werden. Die CDU, die sie heute aufstellt, muss für die Zeit danach taugen. Von der Leyen also übt sich darin jetzt mal im Kommando. „Die Frau will’s echt wissen“, sagt einer aus der engsten CDU- Spitze. Der Satz gilt über das Ministeramt hinaus.