zum Hauptinhalt
Demonstranten protestieren vor dem Parlament in London.
© imago/ZUMA Press

Großbritannien: „Ein zweites Referendum wäre die beste Möglichkeit“

Das Nein zum Brexit-Deal stürzt Großbritannien ins Chaos. Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza sieht Chancen für ein neues Referendum. Ein Interview.

Herr Ondarza, der Brexit-Deal ist im britischen Unterhaus gescheitert. Wie geht es jetzt in Großbritannien weiter?

Das ist völlig offen. Die Niederlage im Unterhaus war so deutlich, dass der Brexit-Deal, so wie er auf dem Tisch liegt, keine Chancen mehr hat. Und auch Theresa Mays Plan B, das Parlament durch Nachverhandlung mit der EU doch noch zu überzeugen, ist wenig erfolgsversprechend. Dazu war die Niederlage zu deutlich. Im Unterhaus haben sowohl EU-Freunde als auch EU-Gegner gegen den Deal gestimmt. Kommt May einem Lager entgegen, verliert sie das andere. Kompromissbereitschaft ist kaum vorhanden.

Wie wahrscheinlich sind Neuwahlen?

Das kommt auf den Ausgang des Misstrauensvotums heute Abend an. Wenn Theresa May verliert, muss binnen 14 Tagen eine neue Regierungsmehrheit gefunden werden. Allerdings stehen die Chance der Premierministerin, das Misstrauensvotum zu überstehen, nicht schlecht. Denn ihre eigene Partei hat kein Interesse daran, dass es in dieser chaotischen Phase zu Neuwahlen kommt.

Was bringt das Misstrauensvotum der Opposition?

Dabei spielt vor allem der Oppositionsführer Jeremy Corbyn eine wichtige Rolle. Er hat zum einen ein Interesse daran, den Brexit im Sinne seiner Labour-Partei mit der EU nachzuverhandeln. Zum anderen will er aber vor allem selbst Premierminister werden. Deshalb hat er das Misstrauensvotum in diesem für ihn strategisch günstigen Moment gestellt.

Falls es zu Neuwahlen kommt - was würde das für Großbritannien bedeuten?

Das politische Chaos wäre perfekt. Die Parteien sind ja auch in sich völlig zerstritten. Im Falle von Neuwahlen könnten sie sich zum Thema Brexit nicht positionieren. Aus meiner Sicht wäre ein zweites Referendum die beste Möglichkeit, um diese politische Blockade zu lösen.

Der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza leitet die Forschungsgruppe "EU/Europa" der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza leitet die Forschungsgruppe "EU/Europa" der Stiftung Wissenschaft und Politik.
© Privat

Wie stehen die Chancen für ein zweites Referendum?

Sie werden besser, weil alle anderen Möglichkeiten schwinden. Allerdings wäre dazu eine Mehrheit im Parlament nötig. Mit dem anschließenden Prozedere würden bis zum Referendum mindestens 22 Wochen vergehen. Die EU müsste den Brexit also bis nach der Europawahl im Mai verschieben. Dann müsste auch Großbritannien an der Wahl teilnehmen – kurz bevor es aus der EU austritt. Die Hürden für ein zweites Referendum sind also hoch, aber im Moment ist es die beste aller schlechten Möglichkeiten. Denn die Kosten eines ungeordneten EU-Austritts wären zu hoch.

Was würde ein Austritt ohne Abkommen für Großbritannien bedeuten?

Großbritannien würde ohne jegliche Regelung die EU verlassen. Es drohen gravierende Konsequenzen: Von der Wiedereinführung von Zöllen bis zu Unsicherheiten für EU-Bürger in Großbritannien und britische Bürger, die im EU-Ausland leben. Die EU ist der wichtigste Handelspartner Großbritanniens. Jeden Tag passieren 10.000 Lkws aus der EU die britische Grenze. Wenn diese nun nach einem ungeregelten Austritt nur 70 Sekunden an der Grenze kontrolliert werden müssten, verursacht das Staus von sieben Tagen. Das ist nur eines von vielen Beispielen, welches Chaos der ungeordnete Brexit verursachen würde.

Wie sollte sich die EU jetzt gegenüber Großbritannien verhalten?

Aus meiner Sicht kann die EU wenig tun. Die politische Blockade besteht ja im Land. Großbritannien muss sich jetzt entscheiden – zwischen dem Deal so wie er auf dem Tisch liegt, einem ungeordneten Austritt aus der EU oder einem zweiten Referendum. Die EU sollte jetzt abwarten und Großbritannien noch mehr Zeit geben. Was die EU auf keinen Fall tun sollte: Großbritannien erlauben, dass es sich nur die besten Rosinen aus dem Deal herauspicken kann.

Der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza ist Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt Oder und leitet die Forschungsgruppe "EU/Europa" der "Stiftung Wissenschaft und Politik".

Zur Startseite