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Ganz genau hinsehen: Ein Graffiti "DDR" an einer Mauer nahe der Glienicker Brücke.
© Ralf Hirschberger/ZB

War die DDR ein Unrechtsstaat?: Ein Wort, das trifft

Die Sache scheint klar zu sein: Die DDR war ein Unrechtsstaat. Doch mit dieser Feststellung fangen die eigentlichen Probleme erst an. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es gibt Begriffe, die die Erkenntnis eher verstellen als befördern. Einer davon ist der „Unrechtsstaat“. Seit dem Fall der Mauer wird in unregelmäßigen Abständen über die Frage diskutiert, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. „Natürlich!“, lautet die Antwort aus konservativen und oft westlich geprägten Kreisen. „Diffamierung!“, schallt es aus linken und meist östlich geprägten Kreisen zurück. In dem Streit überlappen sich juristische, politische und moralische Kriterien. Wer etwa juristisch argumentiert, muss mit einer moralischen Replik rechnen.

Dabei scheint die Sache klar zu sein. Die DDR gewährte weder Reise- noch Redefreiheit. Bürger wurden bespitzelt und eingesperrt, wer die Grenze gen Westen überqueren wollte, wurde erschossen. Die Partei hatte alle Macht, eine unabhängige Justiz gab es nicht, viele Gesetze – von der „staatsfeindlichen Hetze“ über die „Staatsverleumdung“ bis zur „Zusammenrottung“ – waren menschenrechtswidrig.

Was also war die DDR? Sie war eine Diktatur, in der ein totalitäres SED-Unrechtsregime eine Gewalt- und Willkürherrschaft aufgebaut hatte. Das ist unstrittig. Nur ein Begriff löst Unbehagen aus, der „Unrechtsstaat“.

Das hat drei Gründe. Erstens schwingt in ihm etwas sehr Umfassendes mit. „Er wirkt so, als sei das ganze Leben in der DDR Unrecht gewesen“, sagt die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Ein Unrechtsstaat kennt Mitläufer und Widerständler. Das aber geht an der Lebenswirklichkeit von Arzt, Monteur und Lehrer vorbei. Müssen sie im Nachhinein ein schlechtes Gewissen haben, weil sie gegen den „Unrechtsstaat“ nicht opponiert hatten?

Zweitens verführt der Begriff zu dem Missverständnis, dass alles, was in der DDR im Namen des Rechts geschah, Unrecht gewesen war. Dabei existierten, von der Straßenverkehrsordnung bis zum Zivilrecht, auch in der DDR viele Rechtsbereiche, die lediglich das Zusammenleben der Menschen regelten.

Drittens ist das Werturteil „Unrechtsstaat“ eng mit der Zeit des Nationalsozialismus verknüpft. Wer es hört, denkt an Krieg, Konzentrationslager, Holocaust. Sich dem NS-Staat zu widersetzen, war ein Akt der Notwehr. Nivelliert nicht eine begriffliche Gleichsetzung von NS-Staat und DDR die gravierenden Unterschiede zwischen beiden Systemen?

Offenkundiges sollte nicht abgestritten werden

Es ist infam, in solchen Einwänden nur Abwehr-, Verdrängungs- oder gar Geschichtsklitterungsreflexe zu vermuten. Vielmehr zeugen sie von dem Wunsch, statt von der Moralkeule „Unrechtsstaat“ erschlagen zu werden, das Leben in der DDR auch jenseits von Anpassung und Rebellion in den Blick zu bekommen.

Ein solcher Wunsch aber kann nur dann auf wohlwollendes Verständnis stoßen, wenn Offenkundiges nicht abgestritten wird. Die DDR war ein Unrechtsstaat. Punkt. Als solcher unterschied sie sich elementar von der NS-Diktatur, das Gros ihrer Bürger lebte ein anständiges Leben, und in weiten Teilen der Justiz wurde durchaus Recht gesprochen. Das alles sollte mitgesagt werden, wenn die Rede vom „Unrechtsstaat DDR“ ist.

Ein solches Urteil mag als pauschal empfunden werden. Es deshalb allerdings in den Bereich des Unzulässigen zu verbannen, verletzt den Realitätssinn. Was soll eine Diktatur, die kein Rechtsstaat war, anderes gewesen sein als – ein Unrechtsstaat? Das anzuerkennen, befreit die Debatte von dem Streit um das Wort und öffnet sie für Zwischentöne.

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