Boris Johnson lässt die Maske fallen: Ein undemokratischer Akt, der seinesgleichen sucht
Die Zwangspause für die britischen Abgeordneten ist eine Ohrfeige für die Demokratie. Sie macht zudem einen harten Brexit wahrscheinlicher. Ein Kommentar.
Boris Johnson hat es tatsächlich getan. Schon seit Wochen wird darüber spekuliert, dass der britische Premierminister im September und Oktober für mehrere Wochen das Parlament auflösen könnte, um den Widerstand der Unterhausabgeordneten gegen seinen Brachialkurs zu brechen. Genau dies hat Johnson nun vor.
Und damit dürfte es in der kommenden Woche im Parlament zu einem Showdown zwischen Johnson und den Gegnern eines ungeregelten Austritts kommen, der zumindest eine Vorentscheidung in dem dramatischen Machtkampf bringen könnte.
Johnsons Ankündigung vom Mittwoch hat einen berechtigten Aufschrei bei den Gegnern eines No-Deal-Brexit hervorgerufen. Tatsächlich stellt die bevorstehende Kaltstellung des Parlaments einen undemokratischen Akt dar, der in der jüngeren britischen Geschichte einzigartig ist.
Der Witz an der Geschichte ist, dass Johnsons Schachzug eigentlich erst durch die Stümperei von Theresa May ermöglicht wurde. Hätte May wie üblich im Frühjahr eine neue Parlamentsperiode eröffnet, dann hätte Johnson es juristisch schwerer, jetzt eine "Prorogation" durchzusetzen.
schreibt NutzerIn Mmh
Johnson nutzt kaltblütig die Tatsache aus, dass Großbritannien über keine geschriebene Verfassung verfügt. Ob die vom Premierminister verfügte Zwangspause möglich ist oder nicht, ist unter Juristen umstritten. Eine Aussetzung von Parlamentssitzungen, wenn auch von kürzerer Dauer, hat es in britischen Geschichte bereits gegeben – allerdings niemals zu einem derart entscheidenden Zeitpunkt wie heute.
Klar ist indes, welchen Plan Johnson mit der Lahmlegung des Unterhauses verfolgt. Wenn sich das Parlament lediglich Anfang September und dann erst wieder zweieinhalb Wochen vor dem Brexit-Datum am 31. Oktober versammeln kann, dann hat das vor allem einen Effekt: Den Gegnern eines No-Deal-Brexit wird schlicht die Zeit fehlen, um den Premierminister auf dem Weg der Gesetzgebung zu einer weiteren Verschiebung der Austrittsfrist zu zwingen.
Opposition unter Zugzwang
Damit setzt Johnson seine Gegner im Parlament mehr unter Druck als je zuvor. Bislang haben die Opposition, angeführt von Labour-Chef Jeremy Corbyn, und die Pro-Europäer unter den regierenden Konservativen keine echte Strategie in dem Tauziehen mit dem Premierminister vorzuweisen.
Sie haben bis jetzt davor zurückgeschreckt, von einem Misstrauensvotum gegen Johnson Gebrauch zu machen. Das liegt vor allem daran, dass viele Abgeordnete dem umstrittenen Labour-Vorsitzenden nicht zum Amt des Premierministers verhelfen wollen.
Nachdem Johnson nun gewissermaßen sein schärfstes Schwert gezückt hat, wird wohl auch das breite Bündnis der No-Deal-Gegner zurückschlagen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es in der kommenden Woche doch zum Misstrauensvotum gegen Johnson kommt.
Neuwahlen sind wahrscheinlich
Aber auch für diesen Fall ist Johnson gewappnet. Selbst wenn es eine Mehrheit für ein Misstrauensvotum geben sollte, könnte sich der Premierminister weigern, seinen Amtssitz in der Downing Street zu verlassen.
Statt dessen könnte er Neuwahlen ausrufen – zu einem Zeitpunkt, der unmittelbar nach einem Chaos-Brexit am 31. Oktober liegt.
Johnson lässt seine Maske endgültig fallen. Er will es darauf ankommen lassen, dass Großbritannien in neun Wochen notfalls ohne Abkommen aus der EU austritt, und die EU damit in letzter Minute zu Zugeständnissen zwingen. Es ist gut möglich, dass der Premierminister die Geister, die er gerufen hat, nun endgültig nicht mehr loswird. Das Risiko, dass es tatsächlich zum No-Deal-Brexit kommt, ist seit Mittwoch weiter gestiegen.