Die Grünen und ihr Spitzenpersonal: Ein taktisch kluger Teilrückzug
Katrin Göring-Eckardt will nicht noch einmal als Spitzenkandidatin für ihre Partei antreten. Das zeugt von Souveränität. Ein Kommentar.
Auf dem Grünen-Parteitag vor knapp einem Jahr muss Katrin Göring-Eckardt zum ersten Mal gespürt haben, wie sich die Verhältnisse in der Partei geändert haben. Annalena Baerbock riss die Delegierten mit, die sie prompt zur neuen Parteichefin wählten, abseits alter Flügellogiken. Bis dahin war Göring-Eckardt die unangefochtene Nummer eins unter den grünen Frauen. Zwei Mal führte die Thüringerin ihre Partei als Spitzenkandidatin in die Bundestagswahl, 2013 mit Jürgen Trittin, 2017 mit Cem Özdemir.
Bei den Jamaika-Sondierungen leitete Göring-Eckardt zusammen mit Özdemir die Verhandlungen für die Grünen. Im Fall einer Regierungsbeteiligung hätte sie den ersten Zugriff auf ein Ministeramt gehabt. Nun hat die 52-Jährige angekündigt, nicht noch ein drittes Mal als Spitzenkandidatin anzutreten. „Beim nächsten Mal machen das andere“, sagte sie.
Das ist einerseits realistisch. In einer Urwahl hätte Göring-Eckardt heute kaum eine Chance gegen die neue Parteichefin Baerbock. Zusammen mit ihrem Co-Vorsitzenden Robert Habeck steht Baerbock für einen Aufbruch, der sich auch in guten Umfragewerten widerspiegelt. Es zeugt aber auch von Souveränität, zum richtigen Zeitpunkt loslassen zu können.
Göring-Eckardt hat ein gutes Gespür für Macht
Göring-Eckardt hatte schon immer ein gutes Gespür für Macht und für Stimmungen. Sie kann Mehrheiten organisieren: Als die Grünen-Führung nach der Bundestagswahl 2013 wegen des schlechten Wahlergebnisses massiv unter Druck stand, sicherte sie sich trotz einer Gegenkandidatin den Fraktionsvorsitz. Auch inhaltlich korrigierte sie ihren Kurs: von der entschiedenen Verfechterin der Agenda 2010 in rot-grünen Regierungszeiten zur Sozialpolitikerin, die Themen wie Kinderarmut stärker ins Zentrum gestellt hat.
Komplett in die zweite Reihe zurückziehen will Göring-Eckardt sich aber noch nicht. In diesem Herbst möchte sie sich erneut zur Fraktionschefin wählen lassen, bisher ist keine aussichtsreiche Gegenkandidatin in Sicht. Wenn die Grünen im Herbst die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gut bestehen wollen, wird ihre Expertise gefragt sein – als ostdeutsche Grüne, die vor 30 Jahren die Wende miterlebte und damals zur Bürgerrechtlerin wurde. Ihre Biografie macht sie nun wieder stärker zum Thema, in Thüringen hat sie außerdem mit ersten Wahlkampfterminen angefangen. Bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz könnte ihr das nutzen – ebenso wie der taktisch kluge Verzicht auf die Spitzenkandidatur.