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Sein Job ist in Gefahr: Bei einem "Nein" im Referendum am Sonntag könnte Ministerpräsident Renzi zurücktreten.
© dpa/Giuseppe Lami

Referendum in Italien: Ein Nein zur neuen Verfassung genügt

Italien stimmt über die bisher radikalste Veränderung seiner Verfassung ab. Premier Renzi sagt: "Ein Ja genügt". Doch besser wäre ein Nein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Fünfzig Jahre ist das Unerhörte in dieser Woche her: Am 1. Dezember 1966 wählten im Bundestag Union und SPD gemeinsam Kurt-Georg Kiesinger zum Kanzler. Zum ersten Mal nach 17 Jahren konservativer Dauerherrschaft durfte die linkere der beiden großen Parteien mitregieren, sozusagen das Vorspiel zum Machtwechsel, der 1969 Willy Brandt ins Kanzleramt trug.

Das rot-schwarze Bündnis von damals ist die Große Koalition schlechthin in der deutschen Nachkriegserinnerung, die mit dem großen G. Sie ist im politischen Gedächtnis verbunden mit der Mahnung, die Kanzler Kiesinger sich damals quasi selbst mit auf den Weg gab: „Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Amtsmissbrauch der Macht ist der feste Wille der Partner einer großen Koalition, diese nur auf Zeit – also bis zum Ende dieser Legislaturperiode – fortzuführen.“

Machtmissbrauch, Bündnis auf Zeit? Gab es 1966 keine andere Möglichkeit – die FDP war im Streit aus der Regierung unter Ludwig Erhard ausgeschieden, andere Parteien gab es im Bonner Parlament damals noch nicht –, so ist das Experiment jetzt, unter dem Kosenamen GroKo, der Normalfall, das parlamentarisch-demokratische Regierungsmodell schlechthin. Angela Merkel hat die längste Zeit ihrer nun elf Jahre im Kanzleramt mit den Sozialdemokraten regiert. Und nun schickt sich das Traumpaar an, auch noch die Rosenhochzeit zu schaffen. Kleine Kräche inklusive.

Der um die Bundespräsidentenkandidatur war so einer. In maßgeblichen sozialdemokratischen Skatrunden haut man sich begeistert auf die Schenkel, der Kanzlerin Steinmeier aufs Auge gedrückt zu haben, einen eigenen Mann (!). Nicht ahnend, dass diese Festlegung auf die nächste Kuschelkoalition vom Wähler übelgenommen werden könnte, der oder die doch dachte, dies mit eigener Stimme zu entscheiden. Und von mancher Wählerin, die sich zudem daran stoßen könnte, dass Mann nach elf Bundespräsidenten wieder keine Frau auf dem Zettel hatte. Jedenfalls nicht im Ernst. Offenbar wird nicht nur das Regieren bequemer, wenn man sich nur noch mit einem Oppositiönchen herumschlagen muss. Auch der politische Instinkt schläft dabei schon mal ein.

Italien kam der Geschmack an Wahlen gänzlich abhanden

Unser Nachbar im Süden ist schon einen nächsten Schritt weiter. Große Koalitionen heißen und funktionieren dort etwas anders und unauffälliger, sind aber eher üblicher. Modell Italien? Hoffentlich nicht.

Unter dem früheren Staatspräsidenten Giorgio Napolitano kam in Rom sogar gänzlich der Geschmack an Wahlen abhanden. „König Georg“ begann vor gut fünf Jahren, die Regierungen einfach selbst zu ernennen, ohne den lästigen Umweg über den Volkswillen. Europa applaudierte dazu. Es sah ausgerechnet in dem soignierten Greis mit der eurokommunistischen Biografie und stalinistischen Sozialisation den Garanten für Stabilität und Regierbarkeit des unberechenbaren Italien.

Der Ausgang des Referendums in Italien ist vollkommen offen.
Der Ausgang des Referendums in Italien ist vollkommen offen.
© AFP

Nach Berlusconi freuten sich die Nachbarn über jeden römischen Premier, der keine falschen Haare trug, keine 17-Jährigen belästigte und halbwegs glaubhaft schwor zu sparen, bis es quietsche.

Der letzte Zögling, den Napolitano im Jahr vor seinem Ruhestand noch einsetzte, Matteo Renzi, will die Zauberkraft des PR-Schlachtrufs „Ich oder das Chaos“, der im Kreis der EU-Kolleginnen und -kollegen und in der öffentlichen Meinung auch in Deutschland freudig geglaubt wird, nun auf neuem Niveau ausprobieren: An diesem Sonntag stimmt Italien über die bisher radikalste Veränderung seiner Verfassung ab. Der Premier bewirbt sie mit dem schönen Slogan „Ein Ja genügt“. Ja zu rascherer Gesetzgebung, weniger Volksvertretern, also kostensparender Politik, schlicht zu einem Italien, das durchregiert werden kann – und, so die Suggestion, richtig abheben wird.

Das Nein-Lager hält dagegen: Wenn der Senat, vergleichbar dem deutschen Bundesrat, aber gleichberechtigt mit der ersten Kammer, zurechtgestutzt wird wie geplant, dann wird nicht die verhasste Politiker-„Kaste“ kleiner und das Regieren besser, dann wird aus dem Senat ein Pfründenpool für die jeweils Mächtigen. Da ist etwas dran. Dass die Gesetzgebung in Italien zu lange dauere, ist jedenfalls etwa so richtig wie die Behauptung, der Föderalismus mache Deutschland unregierbar.

Der Berlusconismus, der leider nicht mit seinem Namengeber aus dem Amt schied, hat vor 20 Jahren einen Trend gesetzt, der spätestens seit Trump nicht mehr als banaler Betriebsunfall gesehen werden sollte. Hoffen wir, dass Italien an diesem Sonntag nicht erneut Trendsetterin wird. Sondern mit Nein stimmt.

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