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Seit 2006 sitzt der kongolesische Kriegsherr Thomas Lubanga im Gefängnis des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. 2009 ist sein Prozess eröffnet worden. Am Mittwoch haben ihn die Richter der ersten Kammer des IStGH schuldig gesprochen, weil er Kindersoldaten für seine Hema-Miliz rekrutiert habe.
© AFP

Internationaler Strafgerichtshof: Ein Meilenstein

Der IStGH hat den Kriegsherrn Lubanga wegen des Missbrauchs von Kindern als Soldaten schuldig gesprochen. Um andere Verbrechen ging es nicht.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat am Mittwoch sein erstes Urteil gesprochen. Der seit zehn Jahren existierende ständige Gerichtshof zur Ahndung von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprach den kongolesischen Kriegsherrn Thomas Lubanga schuldig. Es gebe „keinen vernünftigen Zweifel“, dass Lubanga für seine Union Kongolesischer Patrioten (UCP) Kinder unter 15 Jahren zum Kämpfen rekrutiert habe, sagte der Vorsitzende Richter Adrian Fulford. Das Strafmaß wird erst später verkündet. Lubanga hat, sobald das mehr als 600 Seiten umfassende Urteil ins Französische übersetzt ist, 30 Tage Zeit, in Berufung zu gehen.
Der Prozess bezieht sich auf einen interethnischen Konflikt in der ostkongolesischen Provinz Ituri, bei dem zwischen 1999 und 2003 rund 60 000 Menschen getötet worden sind. Lubanga war der Anführer einer Viehhirtenmiliz, die gegen Ackerbauernmilizen kämpfte. Dabei bekam Lubanga zeitweise auch Unterstützung aus Ruanda, seine Gegner wurden von Uganda unterstützt. Dennoch sieht der IStGH den Konflikt nicht als internationalen Waffengang an und sich selbst deshalb auch für zuständig. Menschenrechtsorganisationen feierten das Urteil am Mittwoch als Meilenstein gegen die Straflosigkeit.
Regungslos sitzt Thomas Lubanga Dyilo in der letzten Reihe des Gerichtssaals, in weißer afrikanischer Tracht. Kurz blickt er durch die Glasscheibe, dorthin wo seine Frau und all die anderen Besucher sitzen, die früh morgens schon vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Schlange standen. Sogar Angelina Jolie ist gekommen.

Bis heute kämpfen Kinder im Kongo. Dieser Junge stand 2008 in der an Ituri südlich angrenzenden Provinz Nord-Kivu unter Waffen. Die Rekrutierung von Kindern für den Kampf ist nicht vorbei. Ob das Urteil seinen Kommandanten beeindruckt?
Bis heute kämpfen Kinder im Kongo. Dieser Junge stand 2008 in der an Ituri südlich angrenzenden Provinz Nord-Kivu unter Waffen. Die Rekrutierung von Kindern für den Kampf ist nicht vorbei. Ob das Urteil seinen Kommandanten beeindruckt?
© REUTERS

Dann ergeht das Urteil. Drei Richter befinden Lubanga einvernehmlich für schuldig hunderte Kinder unter 15 Jahren rekrutiert, sie zu Soldaten, Bodyguards und Wachmännern gemacht, zu Kampfhandlungen gezwungen und in Camps trainiert zu haben. Als Präsident und Gründer der Union Kongolesischer Patrioten (UPC) habe Lubanga Kontrolle, Kenntnis und Vorsatz gehabt. Das ergebe die Beweislage „über vernünftigen Zweifel hinaus“.

67 Zeugen haben ausgesagt, auch ehemalige Kindersoldaten, 204 Verhandlungstage, 1373 Beweisstücke, darunter Videos, in denen Lubanga Kinder antreibt. „Ein Meilenstein“, sagt der Völkerrechtler Robert Heinsch, ehemaliger Rechtsberater des Vizepräsidenten des Gerichts und nun Dozent für Völkerstrafrecht an der Universität Leiden. Denn es war das erste Urteil des IStGH überhaupt. „Alle sind erleichtert.“ Das Gericht habe unter enormem Druck gestanden. Nicht nur die 120 Mitgliedstaaten wollten zehn Jahre nach Gründung des Gerichts, das sie jährlich mehr als 100 Millionen Euro kostet, endlich Ergebnisse sehen.

Besonders erleichtert muss der Chefankläger des Gerichts sein, Luis Moreno Ocampo. „Die Anklage wollte einen Fall, der leicht zu beweisen ist und dem Gericht schnell Erfolge bringt“, sagt Heinsch. Rekrutierung von Kindersoldaten ist kein komplizierter Fall. Doch der erste Fall wurde zum Debakel. Zwei Mal hielten die Richter ihn an, warfen der Anklage vor, die Rechte der Verteidigung einzuschränken, indem sie entlastende Informationen für die Verteidigung mit dem Verweis auf Zeugenschutz zurückbehielt. Die Verteidigung forderte einen Freispruch wegen Verfahrensmängeln. „Es war auch ein Machtspiel zwischen den Richtern und Moreno Ocampo, der bekannt ist für seinen autoritären Führungsstil“, sagt Heinsch. Massive Kritik kam auch von Menschenrechtlern: Durch die ständigen Unterbrechungen sei das Verfahren zu langsam für die Opfer gewesen und auch zu langsam für den Angeklagten, der seit seiner Festnahme 2006 ohne Pause inhaftiert war. Andere beklagten, dass sexuelle Gewalt nicht untersucht wurde, dass Lubanga nur einer von vielen Verantwortlichen sei, oder dass Mitglieder der kongolesischen Regierung selbst anklagewürdig seien.

Opferorganisationen in Ituri kritisieren, dass die Anklage auf die Rekrutierung von Kindersoldaten beschränkt wurde. In einer Umfrage einer Menschenrechtsorganisation im Jahr 2008 gaben 93,4 Prozent der Befragten an, sie hielten die Morde und Massaker für die höchste Priorität, 68,8 Prozent sahen die Vergewaltigungen als wichtig an, aber nur 16,5 Prozent waren überzeugt, dass die Rekrutierung von Kindern das schwerste Verbrechen war, das Lubanga begangen hatte.

Ob die Opfer mit dem Urteil zufrieden sein werden, lässt sich erst in einigen Wochen feststellen. Denn wie im angelsächsischen Recht üblich, wird das Strafmaß später verkündet. Wegen der vielen Opfer und Lubangas zentraler Rolle rechnen manche Beobachter mit der Höchststrafe von 30 Jahren. „Zehn Jahre wird er sicherlich bekommen“, sagt Heinsch. Zieht man die sechs Jahre ab, die Lubanga in Untersuchungshaft verbracht hat, könnte er in vier Jahren zurückkehren.

In Ituri wird kritisiert, dass Lubanga nur wegen der Kindersoldaten vor Gericht stand

Dass eine Rückkehr auch eine Rückkehr in die Politik in Ituri wäre, bezweifelt Joylon Ford von der Analyse- und Beratungsfirma Oxford Analytica. Zwar existiert seine Partei UPC bis heute. Doch dort ist er schon lange ersetzt worden. Georg Dörken, Kongoexperte der Welthungerhilfe, sagt über die aktuelle Sicherheitslage in Ituri, es sei so „ruhig wie seit Jahren nicht mehr“. Es gebe nur zwei kleinere Ausnahmen: Etwas südlich von Bunia, der Stadt, die Lubangas Hema-Miliz 2002 angegriffen hatte, gebe es eine Gruppe marodierender Soldaten, die seit Monaten keinen Sold mehr bekommen hätten. Und nördlich von Bunia nahe des Garamba-Nationalparks gebe es regelmäßig Angriffe der aus Uganda kommenden LRA, der Rebellentruppe von Joseph Kony, auf die Zivilbevölkerung.
Auf dem Höhepunkt der Massaker zwischen den Hema-Viehhirten in Ituri und den Lendu-Ackerbauern blieb die Welthungerhilfe vor Ort. Rund 60 000 Menschen wurden zwischen 1999 und 2003 ermordet, hunderttausende wurden vertrieben. Inzwischen hat sich die Welthungerhilfe einen Ruf als Straßenbauerin erworben. Im Auftrag des deutschen Entwicklungsministeriums baut sie Straßen, damit Bauern ihre Ernte auf die Märkte bringen können. Im Auftrag der Nothilfeabteilung von USAID legt sie nahe des Garamba-Parks Straßen an, damit andere Nothilfeorganisationen die Kriegsflüchtlinge dort mit Nahrungsmitteln und Medizin versorgen können. Dörken ist von Lubanga selbst zwei Mal einbestellt worden, nachdem dieser sich zum Präsidenten Ituris ausgerufen hatte. Bei den Hilfsorganisationen hoffen jedenfalls alle, dass Lubanga noch möglichst lange im Gefängnis bleiben muss. Ob sich die Sicherheitslage ändert, wenn er zurückkommt, „ist schwer einzuschätzen“, sagt Dörken.
Denis Tull, Afrikaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt nicht, dass die „Verurteilung eines zweitrangigen Milizenführers“ allzu großen Einfluss auf die kongolesische Politik haben wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Auslieferung Lubangas an den IStGH durch den Präsidenten Joseph Kabila politische Gründe hatte. Lubangas damaliger Vize Bosco Ntaganda, gegen den ebenfalls ein Haftbefehl aus Den Haag vorliegt, ist nicht nur auf freiem Fuß. Er ist sogar in Kabilas Armee eingegliedert worden, „weil die Regierenden in Kinshasa seinen politischen Wert erkannt haben“, sagt Denis Tull. Ansonsten sieht er für die weitere politische Entwicklung im Kongo schwarz. Seit Monaten ist der unter zweifelhaften Umständen wiedergewählte Präsident Joseph Kabila unfähig, eine neue Regierung zu bilden. Das liegt nach Einschätzung Tulls und Joylon Fords vor allem daran, dass sein wichtigster Berater, Augustin Katumba Mwanke, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist.

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