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Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel spricht am 15.12.2015 zum Abschluss des CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe (Baden-Württemberg).
© dpa

Angela Merkel, die CDU und die Flüchtlinge: Ein Lehrstück des Machterhalts

Die CDU verlässt ihren Parteitag im Gefühl der Unbesiegbarkeit. Angela Merkel hat nicht nur die Partei auf sich ausgerichtet, sondern die ganze Nation. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Sozialdemokraten: Aufgepasst! Wie man inhaltliche Differenzen in einer Partei so glättet, dass der Vorsitzende später nicht beschädigt vom Platz taumeln muss wie Sigmar Gabriel; wie man also dafür sorgt, dass die eigene Partei am Ende stark genug ist, strittige Positionen in einer Koalition durchsetzen zu können: Das hat man jetzt zwei Tage lang in Karlsruhe bestaunen können, wo ein beispielloses Lehrstück in der Disziplin „Machterhalt“ aufgeführt wurde.

Obwohl jeder spürt, dass der Zwist zwischen Angela Merkel und ihren Kritikern in der CDU und CSU um die Begrenzung des Flüchtlingszustroms in der Sache nicht wirklich ausgeräumt ist, haben sich alle hinter einem Kompromiss versammelt. Das stärkt Merkel und das stärkt letztlich sogar die Merkel-kritischen Teile der Union in der Regierung mit der SPD.

Gemeinsam wird man jetzt als Erstes im Asylpaket II Zuzugsbeschränkungen für Familien durchsetzen können. Später dem Regierungspartner mehr abverlangen. Die Union jedenfalls verlässt Karlsruhe im Gefühl der Unbesiegbarkeit.

Doch Angela Merkel hat nicht nur ihre Partei auf sich ausgerichtet. Sie hat auch gleich die ganze Nation mit eingespannt. Wo sie die Verantwortung der Deutschen in den Konflikten der Welt und in Europa aufzeigt, meint sie einen historischen Auftrag, dem sich niemand entziehen kann. Wer wollte da verzagen, sich gar abschotten? Ihr „Wir schaffen das“ ist mittlerweile zur Suggestion geworden. Für Merkel selbst und alle anderen gleich mit. Mut haben und Mut machen, das hat Merkel richtig erkannt, sind wichtige Voraussetzungen für die Lösung von Konflikten. Und Mut hat sie gemacht: Zum Durchhalten und auch zum Warten auf politische Lösungen, die natürlich Zeit brauchen.

Kein einziges Problem ist kleiner geworden

Denn eines ist auch klar: Kein einziges Problem ist nach Karlsruhe kleiner geworden. Nach wie vor fliehen Menschen vor Bürgerkrieg und Hoffnungslosigkeit. Nach wie vor reicht das Geld nicht, um Familien in Camps jenseits der europäischen Grenzen ordentlich zu versorgen. Und nach wie vor suchen deshalb täglich Tausende Zuflucht in Europa.

Weil Europa aber weder bei der gemeinsamen Grenzsicherung noch der Lastenverteilung Bereitschaft zu einer solidarischen Problemlösung zeigt – der Wille zu handeln sogar geringer wird –, hängen Lösungen in der Flüchtlingsfrage an Unbekannten und Unbeherrschbarem. Und am Ende bleibt Deutschland das Ziel der Flüchtenden. Es mag stimmen, was Merkel sagt: Die Deutschen sind moralisch und wirtschaftlich in der Lage, gewaltige Herausforderungen zu meistern.

Allerdings, und da stößt Merkel an die Grenzen ihrer Beschwörung von Weltoffenheit und Menschlichkeit: Die Kraft der Deutschen fußt in dieser Krise auf der Erwartung, dass der viel beschworene Silberstreif am Horizont erkennbar wird: Die Flüchtlingszahlen müssen absehbar sinken. Denn auch große Aufgaben brauchen ein Maß, das den Menschen beherrschbar erscheint. Einen Marathon steht man nämlich nur durch, wenn man darauf vertrauen kann, dass die Strapaze tatsächlich nach 42 Kilometern endet.

Dieses Versprechen aber kann Merkel niemandem geben. Nicht entnervten Bürgermeistern, nicht denen, die Angst haben vor Überforderung, vor Überfremdung. Und trotzdem muss sie auf deren Vertrauen setzen. Das ist ihr Dilemma. „Diese Aufgabe ist riesig“, hat Merkel in Karlsruhe gesagt. Ihre Aufgabe.

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