Aufnahme von Flüchtlingen: Ein langer Weg für Deutschland
Deutschland wird in den folgenden Jahren noch häufiger als jetzt schon Ziel von Asylsuchenden sein. Dafür muss noch viel getan werden. Ein Kommentar.
Es werden immer mehr, immer mehr Menschen, denen wir nicht die Tür weisen können. Wir in Europa, das sich nach seiner Gründungsakte als aufgeklärt definiert. Menschen kommen, die Hilfe benötigen. Entrechtet, geschändet, verfolgt wollen sie in ihrer Heimat Massakern entrinnen und nehmen dafür schier unendliche Anstrengungen auf sich, oft großes Leid. Die Bilder, die wir sehen: Sie lügen doch nicht. Syrer, Iraker, Afghanen, Eritreer: Sie überwinden jede Grenze, um das gelobte Land zu erreichen. Um nach Europa zu kommen, und nach Deutschland. Dieser Tage und darüber hinaus.
Die Herausforderung wird bleiben. Sie hat gerade erst begonnen, und diese, überhaupt jede Koalition wird sich in einer Art beweisen müssen, dass sie sich danach eine große nennen kann. Mit einer außerplanmäßigen Sitzung am Wochenende wird es nicht getan sein. Deutschland mitten in Europa, bisher mit der Aufnahme von zwei Flüchtlingen je 1000 Einwohner auf Platz sieben der europäischen Länder, dieses Deutschland wird in den folgenden Jahren noch häufiger Ziel der Hilfesuchenden, der Asylsuchenden, der Arbeitsuchenden werden. Die Regierung weiß es – die Deutschen wissen es. Und wollen es in ihrer weit überwiegenden Mehrheit auch: offen sein. Die Fotos von brennenden Unterkünften verzerren das Bild. Die Bilder der Hilfsbereitschaft: Sie sind doch Wahrheit. Sie zeigen über Europa hinaus ein politisches Sommermärchen. So wird es genannt, und das nicht von uns.
Geschick ist gefragt
Darin liegt die Verpflichtung. Die Freiheit, der funktionierende Staat, das Sozialmodell, die Werte – Europa wird human sein, oder es wird nicht sein, jedenfalls nicht das Europa, das seine Gründerväter wollten. Wir Deutsche, stark und erfolgreich, werden gute Europäer sein oder große Mitschuld daran tragen, dass das humanistische Erbe vergeht. Tröstlich ist, dass unsere Regierung eintritt in diese Verpflichtung und sie eingeht auch für ihre Nachfolger. Diese Koalition geht die ersten Schritte, aber der Weg ist länger. Die Staaten, aus denen Millionen fliehen, sind nicht binnen Kurzem zu stabilisieren. Europas Diplomatie steht im Nahen und Mittleren Osten vor einer herkulischen Aufgabe. Und in Europa steht sie vor der Notwendigkeit einer „Binnenentspannungspolitik“ zwischen West und Ost, zwischen Ländern, die viele, und denen, die wenige Flüchtlinge aufnehmen wollen. Das wiederum sind viele.
Hier im Land ist die Aufgabe eine des höchsten administrativen Geschicks, das zum nachhaltigen Verständnis bei der Bevölkerung von der moralischen Dimension überwölbt werden muss. Immer wieder muss erklärt werden, warum dieses Handeln mit einem Wort der Kanzlerin alternativlos ist, diesmal wirklich. Und wie es rasch gehen und praktisch zugehen kann. Wenn, um ein Beispiel zu nehmen, die tausende Asylanträge wirklich schnell bearbeitet werden sollen, innerhalb von 48 Stunden, und wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das im Moment nicht leisten kann – dann muss Unübliches üblich werden. Warum nicht vorübergehend Assessoren damit betrauen, junge Juristen nach dem ersten oder auch zweiten Staatsexamen einbinden, Referendare auf ihrer Verwaltungsstation? Ideen im Geist der praktischen Vernunft, des Handelns mit Moral, darauf kommt es in diesen Tagen an. Es kommen ja noch so viele weitere, Tage und Menschen.