Hurrikan "Irma" in den USA: Ein Klima für Veränderungen
Hat sich die Zahl und die Stärke der Hurrikane erhöh? Das ist statistisch nicht nachweisbar. Dennoch müssen die USA umdenken. Deutschland auch. Ein Kommentar.
In Florida sterben Menschen. Hurrikan „Irma“ zerstört Häuser, Schulen und Straßen. Er vernichtet familiäre Existenzen und ganze Gemeinden wie zuvor „Harvey“ in Texas. Millionen sind ohne Strom. Trinkwasser wird knapp.
Surreale Bilder, süßlicher Gestank
Wer die Naturgewalt eines Hurrikans erlebt hat, wird die Bilder und Gerüche nicht vergessen. Die Flutwelle hebt Boote über die ersten Gebäudereihen hinweg ins Landesinnere, schiebt Häuser von ihren Fundamenten, parkt Autos auf Balkonen. Sobald der Pegel sinkt und die Temperatur im Süden der USA auf bis zu 40 Grad Celsius steigt, mischt sich die Ausdünstung des giftigen Schlicks aus Abwässern, Chemie und Treibstoffen mit dem süßlichen Gestank vergammelnden Fleischs in den Kühlgeräten.
Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Stürme auch die Diskrepanz im Umgang mit solchen Katastrophen in den USA und Deutschland aufwirbeln. Die drängenden Fragen in US-Medien: Wie schützen wir Menschenleben? Wie bringen wir Nothilfe in die Regionen? Wann bewilligt die Politik Geld für den Aufbau? Deutsche Medien springen rasch zu den politischen Fragen: Ist das nicht ein weiterer Beleg für den Klimawandel? Und schadet das Präsident Trump, dem Leugner des Klimawandels?
Amerikaner denken Nothilfe. Deutsche denken Klimawandel
Zum Teil erklärt sich der Kontrast aus Nähe und Ferne. Amerikaner sind direkt betroffen, da hat Nothilfe Vorrang. Deutsche leben weit entfernt. Hier treten aber auch kulturelle Unterschiede hervor. Amerikaner ticken anders. In Momenten der Not müssen ideologische Meinungsverschiedenheiten warten. Das gilt auch bei Massakern durch Amokläufer. Bei den Trauerfeiern hat Präsident Obama nie für eine Verschärfung der Waffengesetze geworben. Das tat er bei anderer Gelegenheit. In den USA gehört es sich nicht, Elend und Trauer politisch auszuschlachten. Trump verhält sich geschickt, zeigt Mitgefühl, besucht Opfer, schweigt zu Klimafragen. Die Hurrikane werden ihm politisch kaum schaden.
In Deutschland argumentieren viele umgekehrt. Man müsse die Betroffenheit nutzen, um eine andere Klimapolitik durchzusetzen, sagt der Grüne Cem Özdemir. Kanzleramtsminister Peter Altmaier fragt: Wie viele Jahrhundert-Hurrikane noch, bis die Leugner merken, dass sie das Leben ihrer Enkel ruinieren?
Das Denkmodell ist überzeugend, die Praxis belegt es aber nicht
Doch so klar, wie sie tun, ist die Verbindung zwischen Klima und Hurrikanen nicht. Das Denkmodell ist gewiss überzeugend. Hurrikane laden ihre zerstörerische Energie über warmen Meereszonen auf. Wenn die durchschnittliche Meerestemperatur steigt, ist es wahrscheinlich, dass sich Zahl und Stärke der Hurrikane erhöhen. Aber: Ein solcher Anstieg ist bisher statistisch nicht nachweisbar.
Nur circa alle zwölf Jahre gibt es „schwere“ Hurrikan-Jahre: 2017, 2005, 1992… Von den zehn tödlichsten Hurrikanen der letzten 150 Jahre fällt nur einer in unser Jahrhundert: „Katrina“ 2005. Die anderen neun liegen lange zurück. Erfreulicherweise sinkt die Zahl der Toten. Vorhersagen und präventive Evakuierung funktionieren besser als früher. Dafür steigen die Schäden – weil die Küsten immer dichter und teurer bebaut werden.
Ohne ideologische Brille wird der Blick schärfer
Ja, die USA müssen umdenken: den Klimawandel nicht leugnen; die Forschungsgelder erhöhen, statt sie wie Trump zu streichen; mehr Küstengebiet unbebaut an die Natur zurückgeben. Und die Deutschen könnten mehr Respekt vor statistischen Fakten zeigen. Ohne ideologische Brille wird der Blick in die Welt schärfer.