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Wenn die Straße regiert: Rechte Demonstranten in Chemnitz in der Nacht zum Dienstag.
© dFoto:Od Andersen/AFP

Rechtsradikalismus-Forscherin: "Ein klarer, starker Staat ist wichtig"

Wie lässt sich verhindern, dass ein Mob wie in Chemnitz Menschen jagt? Thesen der Rechtsradikalismus-Forscherin Britta Schellenberg, die Sachsen gut kennt.

Frau Schellenberg, Sie forschen am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Uni München zu Rechtsradikalismus. Hat es Sie überrascht, dass eine solche Hetzjagd wie in Chemnitz in einer deutschen Großstadt möglich war?

Ich bin wie jeder Bürger eines pluralen Staates entsetzt und kann das nur verurteilen. Ein Rechtstaat muss sein Gewaltmonopol durchsetzen. Aber überrascht war ich leider nicht. Für meine Dissertation habe ich einen ähnlichen Fall sehr genau untersucht, nämlich die Hetzjagd auf als fremd stigmatisierte Menschen in der sächsischen Kleinstadt Mügeln im Jahr 2007. Ich muss leider feststellen, dass es eine rassistische Radikalisierung gibt, die gesellschaftlichen Spannungen seither noch zugenommen haben und weitere Gewalttaten denkbar sind.

Was war in Mügeln 2007 passiert?

Dort bedrohten Neonazis auf einem Stadtfest acht Menschen indischer Herkunft, die teils deutsche Staatsbürger waren, es kam zu einer Rangelei, später verfolgte eine breite Masse die angeblichen „Ausländer“. Sie konnten sich schließlich verletzt in einer Pizzeria verschanzen, einer wurde von hilfreichen Passanten ins Krankenhaus befördert. Nur die Polizei hat verhindert, dass es Todesopfer gab.

Könnte so etwas wie in Chemnitz oder Mügeln auch in einem westlichen Bundesland geschehen?

Das ist leider durchaus denkbar. Ich arbeite in München, auch in Bayern gibt es ähnliche Fälle von Übergriffen auf Menschen, die nicht klassisch-biodeutsch aussehen. Auch aus anderen Bundesländern wurde solche Gewalttaten berichtet. Der Unterschied: Es sind dort sehr kleine gewalttätige Gruppen, die meist Einzelne angreifen. Der gesellschaftliche Aufschrei lokal und regional ist danach meist groß.

Warum passieren besonders viele solche Zwischenfälle in Sachsen?

In Sachsen ist über eine lange Zeit politisch zu viel schiefgelaufen. Ich möchte daran erinnern, dass Ministerpräsident Kurt Biedenkopf vor mehr als zehn Jahren behauptet hat, es gebe in Sachsen keinen Rechtsextremismus, er sagte, die Sachsen seien „immun“ gegen Rechtsextremismus. Damit hat er zu einem Zeitpunkt, zu dem man hätte handeln können, die Problemlage geleugnet. Heute lässt es sich nicht mehr bestreiten, dass es in Sachsen Probleme mit Rassismus gibt. Leider gibt es bis heute immer noch zu wenig Mut von Seiten der Regierungspolitik das Problem zu benennen und gezielt entgegenzuwirken.

In Chemnitz waren gewaltbereite Fußballfans ein wichtiger Faktor. Was weiß man über die Verbindung der Hooligans zur rechtsextremen Szene?

Es gibt Überschneidungen zwischen beiden Gruppen, nicht nur in Sachsen, sondern auch in anderen Bundesländern. Leider haben in der Vergangenheit gerade in Sachsen die Behörden oft vor der Aufgabe, solche Übergriffe aufzuarbeiten versagt oder sie haben sich erst sehr spät und zu wenig eindeutig positioniert. Oft vermeiden sie es, das Kind beim Namen zu nennen und stilisieren anfangs sogar noch die Opfer zu Tätern. Es gilt immer erst einmal Ermittlungen abzuwarten. Selbstjustiz ist immer zu verurteilen. Auch im Fall Mügeln haben die lokalen Behörden damals alles abgestritten und sogar die Opfer für die Gewalteskalation mitverantwortlich gemacht. Der spätere Blick in die Polizeiakten zeigte jedoch: zum Tatzeitpunkt war eindeutig, dass es sich um Delikte wie Volksverhetzung handelte und Neonazis mit dem Ziel dort waren, Jagd auf vermeintlich fremde Menschen zu machen.

Ist dieses Behördenversagen ein sächsisches Problem?

Es gibt andere Bundesländer, im Osten wie im Westen, in denen sowohl die Polizei als auch andere Behörden sehr aufmerksam und kritisch auf solche Vorfälle reagieren und Strategien entwickeln, die darauf abzielen alle Menschen gleichsam zu schützen, Gewalteskalationen zu verhindern und das Gewaltmonopol des Staates klarzustellen.

Die Bundesregierung hat die Ausschreitungen klar verurteilt…

Das war wichtig. Allerdings erlebt die lokale und regionale Bevölkerung nach solchen Gewalttaten in Sachsen oft, dass die lokalen und auch regionalen Behörden anders reden als die Bundesregierung und überregionale Medien. Während die Bundeskanzlerin den Fall verurteilt, lavieren sächsische Machtinstanzen herum und verurteilen zunächst nicht eindeutig die rassistischen Gewalttäter. Die Menschen sind verunsichert und ziehen sich beleidigt zurück, sie fühlen sich von der Bundesregierung und den berichtenden Medien unverstanden und vorverurteilt. Teile der lokalen und regionalen Bevölkerung sehen sich in ihrer lokalen, regionalen, oft auch ostdeutschen Identität angegriffen. Die Fronten verhärten, eine Auseinandersetzung darüber, was eigentlich geschehen ist und warum Gewalt bzw. vermeintliche „Selbstjustiz“ zu verurteilen ist, wird immer schwieriger.

Es gibt Hinweise, dass Polizeibeamte in Sachsen mit rechtem Gedankengut sympathisieren. Verschärft das die Lage?

Das ist tatsächlich ein Problem. Dazu gibt es ein bezeichnendes Zitat. Ich arbeite in einer Expertengruppe gegen Rassismus mit, die beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist. Wir hatten vor wenigen Jahren einen leitenden Beamten der Hochschule der Sächsischen Polizei zu Gast. Zu unserer Überraschung sagte er, wenn es zu einem gewalttätigen Konflikt um ein Asylbewerberheim komme, sei er unsicher, was er seinen Polizisten sagen solle. Denn die Hälfte von ihnen habe den Eindruck, die Flüchtlinge müssten geschützt werden, und die andere Hälfte, dass sie die deutsche Bevölkerung vor den Flüchtlingen schützen müsse. Daran sieht man: Manche Polizisten orientieren sich nicht zuerst am Grundgesetz und an geltendem Recht, sondern glauben, die Mehrheit auf der Straße setze die Regeln. Und: Es herrscht eine normative Verunsicherung sogar bei den Führungspersönlichkeiten.

Was sind die Folgen?

Wenn der Staat wie oft in Sachsen im Kampf gegen Rassismus versagt und die vermeintliche Selbstjustiz der Straße zulässt, dann gewinnen viele Menschen die Überzeugung, dass solche Straftaten legitim und richtig seien.  Sie haben zudem den Eindruck, dass der Staat Probleme nicht mehr lösen kann. Das nutzt dann jenen, die Gewalt propagieren.

Welche Rolle spielen Prägungen aus der DDR?

Es stimmt: Bei Pegida-Demonstrationen sind Männer im Alter von 40 bis 60 in der Mehrheit. Sie wurden noch in der DDR sozialisiert und haben die Wiedervereinigung oder Wende oft als Enttäuschung erlebt, fühlen sich heute schlechter gestellt gegenüber Westdeutschen.  Aber eine Zunahme von Rechtspopulismus, einen offen ausgesprochenen und ausagierten Rassismus gibt es nicht nur in Deutschland. Der Grund liegt darin, dass manche die rasante Veränderung unserer Gesellschaft schwer ertragen. Ich denke an Phänomene wie Pluralisierung, stärkere Öffnung gegenüber anderen Ländern, die Gleichberechtigung der Frau oder die Gleichstellung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Wie kann man verhindern, dass Menschen anfällig für Hassparolen werden und Gewalttätern zujubeln?

Zwei Dinge sind wichtig, ein klarer, starker Staat und eine klare, starke Normenorientierung der staatlichen Institutionen. Wenn das wie in Sachsen nicht gegeben ist, verunsichert das die Bevölkerung. Solche Zustände sind unhaltbar, dagegen muss politisch vorgegangen werde. Notfalls muss sich die Bundesregierung einschalten.

Wie lassen sich die Normen stärken, von denen Sie reden?

Zunächst braucht es klare Haltung, deutliche Worte und eindeutige Reaktionen – auch von der Sächsischen Staatsregierung und von den staatlichen Institutionen in Sachsen.

Die Stärkung von Normen wie Friedfertigkeit und Respekt fängt allerdings damit an, dass in Kitas Konfliktlösung geübt wird, dass sich Kinder in ihr Gegenüber hineinversetzen und einen Streitfall aus der Perspektive des anderen wahrnehmen. Auch in der Schule und in anderen Institutionen sollte der Umgang mit Aggressionen und die Achtung des Gegenübers geübt werden. Jeder Mensch hat Aggressionen, auch jeder Polizist hat Aggressionen. Die Frage ist, ob man gelernt hat, mit ihnen umzugehen.

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